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Ein Schattenspender und bunte Friedenstauben

„Ich wünsche den Kindern und Erwachsenen in der Ukraine, in Israel und am Gaza-Streifen Frieden“: So steht es auf einer der bunten Friedenstauben. Eine ganze Menge davon – rote, blaue, grüne, welche in Pink und Violett – haben Sechstklässler der IGS, der „Integrierten Gesamtschule Selters“ noch an diesem Morgen aus Tonkarton gebastelt. Jetzt hängen sie sie in die etwa zehn Jahre alte Linde, bevor diese gleich in ein vorbereitetes Loch auf dem Schulhof gepflanzt werden wird und die Krone nicht mehr ohne Weiteres erreichbar wäre.

Schüler und Lehrer freuen sich über die symbolträchtige Pflanze auf ihrem Schulhof.

Den Baum hat „MANN Naturenergie“ gestiftet (ebenso wie jenen für die „Stöffelmaus-Schule“ ). „Bewusst als Friedenslinde“, wie Geschäftsführer Markus Mann betont. Er hatte sich als Jurymitglied beim „Wäller Gartenpreis“ 2022 und 2023 engagiert und die Idee, den im letztjährigen Wettbewerb erfolgreichen Schulen solche symbolträchtigen Pflanzen zu schenken.

Gar nicht so leicht, die Friedenslinde zu bewegen…

Darunter eben die IGS: Zwei Jahre in Folge (2022 und 2023) bewarb sie sich mit ihrem Schulgartenprojekt beim von der Westerwälder Regionalinitiative „Kräuterwind“ ins Leben gerufenen „Wäller Gartenpreis“ – und das siegreich: Im ersten Jahr zeichnete die Jury das Projekt bereits einmal aus. 2023 war die Konkurrenz durch üppigste Zier- und vielfältigste Naturgärten so groß, dass das Gremium befand, dass man die Beiträge von Kindergärten und Schulen eigentlich aus dem Gesamtfeld herausnehmen und fairerweise getrennt bewerten müsse. Den Fleißigen hinter drei Beiträgen, die den Juroren am besten gefielen, sagte „MANN Naturenergie“ daraufhin zu, ihnen jeweils eine große Friedenslinde fürs Schulgelände zu schenken.

Es ist allerdings nicht der erste Baum, den die Schüler in Selters erhalten: 2022 durften sie sich, ebenfalls von „MANN Naturenergie“ gesponsert, einen Obstbaum für ihren Schulgarten aussuchen; es wurde ein Apfelbaum. Er steht heute in dem 700 Quadratmeter großen Areal in Selters. Die Fläche dafür wurde den Schülern im Rahmen des Neubaus der IGS zur Verfügung gestellt.

Viele Schüler helfen mit und treten den Baum gut fest.

2019 ging es in diesem IGS-Schulgarten los. Seither wird dort unter anderem Gemüse angebaut, es wachsen Wein, Erd- und Brombeeren, Kräuter und vieles mehr. „Aber bei uns wird nicht nur angebaut, sondern auch vermittelt, warum man das macht, wie man es macht,“ erläutert Lehrer Andreas Lief, der das Projekt betreut, den didaktischen Hintergrund. Inzwischen sei es so, dass regelmäßig Jahr für Jahr die fünften Klassen im Schulgarten aktiv sind und ebenso entsprechende Arbeitsgemeinschaften. Im Wahlpflichtfach Hauswirtschaft/Soziales sei Kochen ein Bestandteil, führt Lief aus. Die genaue Ausgestaltung des Unterrichtsinhaltes sei zwar lehrerabhängig, aber eine komplette Schulküche erlaube es, das selbstgeerntete Gemüse direkt zuzubereiten. „Teilweise wird das Gemüse auch direktvermarktet, an Lehrer oder Eltern verkauft, so dass nicht nur die Produktion im Vordergrund steht, sondern es ebenso darum geht, wie man das Gemüse verwertet“, fügt Lief hinzu.

„Die Menschen haben sich schon immer gekloppt und Kriege geführt – schon immer, leider! Und erst, wenn Frieden herrscht, erkennt man dessen Wert“, beschreibt Markus Mann während der Pflanzaktion den anwesenden Schülern, was er sich bei der Friedenslinde für den Schulhof gedacht hat. „So wurde anlässlich des Endes des Krieges 1870/71 – da haben wir Deutschen uns mit den Franzosen gekloppt – an vielen Orten Linden gepflanzt“, erklärt der Energiepionier aus Langenbach bei Kirburg. „Mich haben dann damals, als ich mit der Schule einen Ausflug gemacht habe nach Daun in der Eifel, riesige Bäume beeindruckt, die dort an der Jugendherberge neben einer alten Burg standen. Die stammten aus den besagten Jahren 1870/1871 und waren seinerzeit ebenfalls als Friedenslinden gepflanzt worden.“ Die Erinnerung daran sei für ihn immer imponierend gewesen, erstens aufgrund des Alters, das so ein Baum erreichen kann, „und ebenso wegen der Bedeutung hinter der Pflanzung“, ergänzt Mann. „Dass Russland den Angriffskrieg auf die Ukraine begonnen hat, tut richtig weh. Und deshalb wollen wir heute hier in Selters ein Zeichen setzen.“

Die Friedenstauben wurden noch am Morgen im Religionsunterricht gebastelt.

Die Schüler scheinen den Gedankengang nachvollziehen zu können. Ohnehin sind sie nicht unvorbereitet zur Pflanzaktion gekommen: „Wir hatten zwar eigentlich gerade ein ganz anderes Thema“, schildert Marius Colloseus, „aber haben die Idee hinter der Friedenslinde spontan in den Unterricht aufgenommen. Es gibt aktuell genug Regionen auf der Erde, wo eben kein Frieden herrscht. Wir wollten ein bisschen Licht ins Dunkel bringen, dem Baum ‚Leben einhauchen‘ und die Friedenstauben einsetzen.“

Colloseus unterrichtet den katholischen Religionskurs der sechsten Klasse an der IGS. Seine Schüler, unterstreicht der Pädagoge, wüssten bestens Bescheid über das (unfriedliche) Weltgeschehen; die meisten Friedenswünsche der Kinder richteten sich an Israel, Gaza und die Ukraine – so, wie es auf den Tauben in der Baumkrone auch zum Ausdruck gebracht wird. Das aktuelle Geschehen bewege junge Menschen ebenfalls, bestätigt der Religions- und Englisch-Lehrer. Im Anschluss an die Pflanzung wolle er das Thema in der Klasse darum weiter vertiefen.

„Jaaaaa!“, nicken viele der Schüler, die bei der Baumpflanzaktion in erster Reihe dabei sind, mithelfen, die wuchtige Pflanze in das ausgehobene Loch zu bugsieren: einen Baum haben sie in ihrem Leben schon einmal gepflanzt – meist im elterlichen Garten. Manche der Kinder erzählen, dass sie Apfelbäume und andere Obstarten als Geschenk erhalten haben, oft zu einem Geburtstag. Alle finden es „cool“, dass nun ein wirklich schon recht großer neuer Baum den ansonsten eher grauen Schulhof mit frischem Grün ziert – und im Sommer sicher ein guter Schattenspender in mancher Pause sein wird.

„Es wäre schön, wenn ihr im heißen Sommer einen Blick auf euren Baum habt und der eine oder andere auch mal einen Eimer Wasser für ihn auskippt – denn gerade am Anfang hat der Baum es schwer, selbst Wasser auf so einer Fläche zu finden, wie sie hier auf dem Schulhof vorhanden ist“, gibt Markus Mann den Schülern mit auf den Weg und lässt den Blick über das graue Verbundsteinpflaster wandern.

Der Chef von „MANN Naturenergie“ ist merklich gerührt, dass die Schüler die Baumpflanzung so intensiv begleiten und mit ihrem eigenen Programm anreichern – von den gebastelten Tauben bis zu mehreren vorgetragenen Liedern, darunter das überaus passende „Friedensbaum-Lied“, geschrieben von Philipp Stegmüller: „Wir alle sind Kinder von einem großen Stamm/wie Blätter an einem alten Friedensbaum“, heißt es darin.

Der Religionskurs von Marius Colloseus hat außerdem einige Fürbitten vorbereitet, die die Kinder verlesen: „Ich wünsche mir, dass es keinen Krieg mehr gibt und keine Armut“, heißt eine davon. „Ich wünsche der Ukraine Frieden!“, eine andere. Oder: „Ich wünsche allen auf der ganzen Welt Frieden.“ Der Lindenbaum auf dem IGS-Schulhof wird die Schüler gewiss täglich daran erinnern, dass auch sie sich jeden Tag aktiv für den Frieden einsetzen können und sollten.

Uwe Schmalenbach

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Holz bietet mehr Arbeitsplätze als Autobranche

Die GDL, die „Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer“ ist vermutlich nahezu jedem ein Begriff. Die GDL hat zwar lediglich rund 40.000 Mitglieder, jedoch trotzdem eine große Bekanntheit – spätestens, seit sie mit ihren jüngsten Streikmaßnahmen abermals den Alltag Zehntausender Pendler beträchtlich erschwert hat. Die AGDW, die „Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände e.V.“, repräsentiert zwei Millionen Mitglieder, denen etwa zwei Drittel aller Waldflächen in Deutschland gehören und ist dennoch nahezu unbekannt. Ebenso wie die Tatsache, dass der „Cluster Holz“ in Deutschland eine enorme Wirtschaftskraft darstellt und mehr Arbeitsplätze bietet, als die Automobilindustrie.

Die Nutzung von Holz (hier auf dem Rundholzplatz der „Westerwälder Holzpellets“) ist europaweit ein enorm bedeutsamer Wirtschaftsfaktor, wie die Studie zeigt. Foto: Schmalenbach

Es ist eine wahrhaft ausführliche Betrachtung, die jedoch weitestgehend nur in Fachkreisen wahrgenommen wurde: Als in Wien im vergangenen Herbst die Studie „Forst- und Holzwirtschaft in Europa“ veröffentlicht wurde, berichteten darüber in Deutschland nicht die tagesaktuellen Mainstreammedien, sondern Fachpublikationen wie zum Beispiel das „Holz-Zentralblatt“, das aber gerade einmal 4.000 Abonnenten hat; ein sehr kleiner Kreis also.

Dabei betreffen die Daten der besagten Studie uns alle in vielfacher Hinsicht: Der Wald ist gut fürs Klima und ein Mittel gegen CO2, bietet Raum für Erholung und Entspannung, für Sport und Freizeit. Aber vor allen Dingen generiert die Forst- und Holzwirtschaft der Europäischen Union (EU) sowie Norwegens, der Schweiz und Großbritanniens 527 Milliarden Euro Wertschöpfung im Jahr, wie die Studie darlegt!

In der besagten Untersuchung, die formal den sperrigen Titel „Economic Impact of the Forestry and Wood Industry in Europe in terms of the Bioeconomy“ trägt, kommt überdeutlich zum Ausdruck, dass die Forst- und Holzwirtschaft eine erheblich größere wirtschaftliche Bedeutung hat, als gemeinhin angenommen wird. Es ist im Durchschnitt der 30 untersuchten europäischen Staaten jeder 16. Euro, der unmittelbar oder mittelbar aus diesem Wirtschaftszweig stammt.

Geht es im politischen Diskurs um den Zustand und die Transformation der heimischen Wirtschaft, werden in Deutschland dabei in der jüngeren Vergangenheit vermehrt Branchen wie die Chemie und immer wieder der Automobilbau und deren Erfordernisse (Stichwort Industrie-Strompreis) in den Fokus genommen. Allerdings gibt es in der Automobilindustrie (im Jahresdurchschnitt 2021, laut Bundeswirtschaftsministerium) 786.109 Beschäftigte, die Forst- und Holzwirtschaft bietet hierzulande laut besagter Studie jedoch über 1,3 Millionen Arbeitsplätze. Der (Inlands-)Umsatz der Automobilindustrie betrug 2021 knapp 136 Milliarden Euro, der des Clusters Holz 2022 lag bei über 188 Milliarden Euro. Stolze sechs Prozent unserer nationalen Wirtschaftsleistung kamen aus dem Segment, wie „Forst- und Holzwirtschaft in Europa“ darlegt.

Was aber könnte bloß der Grund dafür sein, dass die wirtschaftliche Bedeutung des Clusters Holz in der Bevölkerung und bei manchen Institutionen wie Teilen der Politik augenscheinlich nicht entsprechend im Bewusstsein ist und/oder wertgeschätzt wird? Und was müsste passieren, damit diese etwa bei den vermehrt aufkeimenden Diskussionen um die (Fort-) Nutzung des Wirtschaftswaldes Berücksichtigung fände?

Hierzu hätte die „Wäller Energiezeitung“ gerne die Meinung von Verbänden gehört, die die Forstwirtschaft vertreten und Lobbyarbeit „pro Waldnutzung“ machen sollen. Doch trotz mehrwöchiger Bemühungen gelang es der Redaktion nicht, dazu ein Statement von Organisationen wie beispielsweise der AGDW oder des gleichermaßen kontaktierten „Waldbesitzerverbandes für Rheinland-Pfalz e. V.“ zu bekommen.

Yonne-Ina Feldger

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Eine fließende Lebensader der Natur

Am Ortsrand von Stein-Wingert, auf einer kleinen Anhöhe, liegt der Friedhof des 200-Seelen-Dorfes, und ein Wanderparkplatz gleich daneben. 30 Meter unterhalb, am Fuß der von dort steil abfallenden Böschung, strömt die Nister vorbei auf ihrem knapp 64 Kilometer langen Weg vom Berg „Fuchskaute“ in die Sieg. In dem für den Westerwald charakteristischen Fließgewässer steht an diesem Morgen Manfred Fetthauer, gemeinsam mit PD Dr. Carola Winkelmann, knietief in den Fluten – und angelt auf besondere Weise.

Ein wichtiges Motiv für die Gründung der „ARGE Nister“ sei der Wunsch gewesen, den Lachs wieder heimisch werden zu lassen im Westerwald, erzählt Manfred Fetthauer, hier mit PD Dr. Carola Winkelmann beim Elektroangeln. Fotos: Schmalenbach

Nein, der Kormoran und Manfred Fetthauer werden in diesem Leben wohl keine Freunde mehr. Dabei geht es dem Vorsitzenden der „Arbeitsgemeinschaft (ARGE) Nister“ nicht um Sympathie oder Antipathie. Vielmehr bemängelt er, dass eine größere Anzahl des schwarzen Vogels die Nister leerfische, dass solcherlei an vielen Orten in Deutschland passiere, der Kormoran zuweilen aber sogar im Rahmen von sogenannten „Naturschutzprojekten“ eigens angesiedelt werde. Der gebürtige Stein-Wingerter kritisiert kopfschüttelnd, dass man „Naturschutz in Deutschland oft nur bis zur Wasseroberfläche“ denke, wie er das formuliert.

Der Gründer der ARGE beschäftigt sich seit bald drei Jahrzehnten mit dem, was im Wasser und im Flussbett passiert, was da lebt oder nicht lebt und welchen Einfluss das aufs gesamte Ökosystem hat. Um darüber Erkenntnisse zu gewinnen, führt er zum Beispiel Maßnahmen wie das besagte Angeln mit PD Dr. Carola Winkelmann durch, die die „AG Fließgewässerökologie“ an der Universität Koblenz leitet: Mit einer Elektroangel treiben die beiden Wissbegierigen einige Minuten lang mithilfe eines Magnetfeldes alles an Fischen in einem Kescher zusammen, was einige Meter um sie herum bei Stein-Wingert in der Nister schwimmt.

„Das ist die Nase. Das ist der wichtigste Fisch hier. Dieser karpfenartige Fisch heißt Nase, weil er hier wirklich so eine kleine Stupsnase hat. Und das Wesentliche ist diese verhornte Unterlippe: Damit kratzt die Nase die Algen von den Steinen ab, wie ein Hobel“, erläutert Carola Winkelmann, während sie ein eingefangenes Exemplar in den Händen hält. Werde die Nase dezimiert, breiteten sich Algen ungehemmt aus – der Sauerstoffgehalt im Fluss sinke.

Die Ausbeute beim Elektroangeln ist an diesem Morgen überaus erfreulich, wie die Gewässerkundler am Ufer feststellen: Nicht allein, dass ein großer gelber Eimer nach wenigen Minuten fast voll geworden ist. Unter den ausschließlich zum Zwecke der Bestandskontrolle und Bestimmung vorübergehend eingefangenen Tiere ist sogar ein winzig kleiner Lachs! Ein riesiger Erfolg, denn die Lachs(wieder)ansiedlung in der Nister ist eines der ARGE-Projekte.

Gleichwohl weisen drei der größeren Fische im Eimer Verletzungen auf, die, da ist der Experte sicher, ihm der Kormoran auf einem Beutezug durch Krallen oder Schnabel beigebracht haben muss: „Die verletzten Stellen der Fische verpilzen, wenn es jetzt wieder wärmer wird, und bald darauf sterben sie“, legt Manfred Fetthauer die Stirn in Falten.

Gerade im Winter werden die Fischbestände in der Nister von ihren natürlichen Räubern „übernutzt“, wie die Wissenschaft das nennt. Denn in der kalten Jahreszeit drängen die Fische dichter aneinander und haben einen reduzierten Stoffwechsel – und sind somit eine besonders leichte Beute für Fischfresser. „Aber auch die Folgen des Klimawandels wirken sich negativ auf die Gewässerqualität aus. In Zukunft müssen beim Gewässerschutz also neben Verbau und Nährstoffeinträgen aus Landwirtschaft und Kläranlagen auch der erhöhte Fraßdruck auf Fische und die Klimawandelfolgen bedacht werden, um den ökologischen Zustand der Nister weiter zu verbessern. Nur so sind auch die engagierten Ziele der EU zu erreichen, Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen der Gewässer wie zum Beispiel die Selbstreinigungskraft zu erhalten“, betont Carola Winkelmann.

Während die Privatdozentin den Fang behutsam, Fisch für Fisch wieder in die Nister und damit unversehrt in die Freiheit entlässt, schildert Manfred Fetthauer, warum er sich über den eben betrachteten Lachs so freut: „Der Lachs war bis etwa 1900 ein Grundnahrungsmittel. Der letzte wurde hier an der Nister Heiligabend 1924 gefangen. Genau an derselben Stelle hatten wir 76 Jahre später wieder Lachs!“ Seit 20 Jahren betreiben Manfred Fetthauer und die „ARGE Nister“ seine Wiederansiedlung. Die jedoch sei mühsam und zäh – der Kormoran frisst eben auch gerne Lachs.

Die Renaturierung der Nister und der Aufbau einer ökologisch hochwertigen Artengemeinschaft sind das vorrangige Ziel der „ARGE Nister“. Auch ein intaktes Kiesbett ist dabei wichtig.

Alles in allem, daran lässt der in Stein-Wingert Lebende keinen Zweifel, stehe es um die Artenvielfalt in unseren Flüssen und Bächen ohnehin nicht zum Besten. Er verweist auf zahlreiche Studien, die die Situation, auch außerhalb des Westerwaldes, als dramatisch darstellen: So hat zum Beispiel erst im vergangenen Januar das Leibnitz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) berichtet, dass die Forelle auf die Liste der in Deutschland gefährdeten Fische gesetzt worden ist – zum ersten Mal überhaupt. Insgesamt gelten dem Institut zufolge sogar schon mehr als die Hälfte aller einheimischen Arten als gefährdet – oder sind bereits ausgestorben!

Fragt man nach den Ursachen für diese beklagenswerte Entwicklung, verweist Fischexperte Dr. Christian Wolter vom IGB auf den Verlust von Lebensräumen durch Gewässerverbauung und -verschmutzung sowie die Folgen des Klimawandels. Ein ebenso negatives Bild gibt die „Rote Liste“ des Bundesamtes für Naturschutz wieder. Sie führt 38 Süßwasserfischarten in unserem Land als bestandsgefährdet auf – nach „nur“ 22 im Jahr 2009.

„Obwohl die Nister schon in den 1970er-Jahren ausgebaut und damit stark verändert wurde, begannen die richtigen Probleme hier erst in den späten 1990ern. Das Ökosystem drohte umzukippen, da Algenmassenentwicklungen die Lebensbedingungen für alle Gewässerbewohner dramatisch verschlechterten. Seitdem kämpfen wir für die Nister – in den letzten Jahren mit intensiver Unterstützung der Wissenschaft. Das hilft enorm, denn im Gewässerschutz hängt alles mit allem zusammen“, sagt Manfred Fetthauer.

Und er sagt ebenso, dass manchen Naturschützern beziehungsweise einigen Naturschutzorganisationen die Bedeutung der Fischarten und deren Vielfalt für das Ökosystem Fluss nicht bewusst sei. Oder dieser Zusammenhang mitunter sogar aus ideologischen Gründen bewusst ausgeblendet werde. „Dabei sind das Systeme, die sich über Jahrtausende aufgebaut haben. Das Ökosystem Fließgewässer ist eine Lebensader in der Natur.“ Diese helfe sogar, so Fetthauer weiter, Schadstoffe wie Nitrate aus der Landwirtschaft oder Medikamentenrückstände abzubauen. Eine intakte Sauerstoffversorgung im Wasser sei wichtig fürs Grundwasser und vieles mehr.

Das Bundesnaturschutzgesetz betont in seinem ersten Paragraphen unter der Ziffer 3 gleichermaßen: „Zur dauerhaften Sicherung der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts sind insbesondere (…) Meeres- und Binnengewässer vor Beeinträchtigungen zu bewahren und ihre natürliche Selbstreinigungsfähigkeit und Dynamik zu erhalten; dies gilt insbesondere für natürliche und naturnahe Gewässer einschließlich ihrer Ufer, Auen und sonstigen Rückhalteflächen (…)“

Die Forscher der Universität Koblenz vermochten ihrerseits nachzuweisen, dass gesunde Fischbestände, insbesondere die Arten Nase und Döbel, die Gewässerqualität maßgeblich verbessern können.

„Ich bin hier groß geworden. Aus meinem Schlafzimmerfenster in meinem Elternhaus konnte ich auf den Fluss gucken“, erzählt Manfred Fetthauer, am Ufer desselben stehend. „Jeden Tag, oder spätestens jeden zweiten Tag waren wir im Wasser.“

In diesem Bereich müssten, wenn sie ihre Winterquartiere verlassen und wieder in andere Abschnitte des Flusses schwimmen, in einer intakten Nister gut 20 Arten in ausreichender Zahl leben.

Mit vier oder fünf Jahren habe er gewusst: „Unter diesem Stein ist eine Forelle, unter jenem Stein ist eine Forelle. Ich ‚rieche‘ inzwischen den Zustand der Nister – man bekommt eine Verbindung, ein Empfinden dafür.“ Fetthauer berichtet von einem Spaziergang mit seiner Frau, vier oder fünf Jahre müsse der nun zurückliegen. Das Paar war an einem Samstag nahe der Abtei Marienstatt unterwegs, wo der Fluss sieben, acht Kilometer entfernt von Stein-Wingert vorbeifließt. „Ich sagte zu meiner Frau: ‚Ich rieche es, mit der Nister stimmt etwas nicht!‘“ Die Gattin habe geantwortet: „Ach, was du immer hast!“ Wieder daheim, holte der Gewässerforscher sein Messgerät, bestimmte anschließend den elektrischen Leitwert des Wassers, der, wie er ausführt, normalerweise um 250 liege, doch an jenem Samstag bei über 400… Er fuhr den Fuss ab und fand als Ursache ein übergelaufenes Überlaufbecken einer Kläranlage.

Einst war Manfred Fetthauer Servicetechniker bei der „Telekom“. Kurz vor dem Renteneintritt hatte er ein mit 1.800 Überstunden gefülltes Arbeitszeitkonto. Zwischen Rhein und Sieg war der Westerwälder in seinem Job viele Jahre unterwegs, „und wenn man irgendwo über eine Brücke fährt und sieht unten keine Fische mehr: Dann muss ich mich fragen, warum keine mehr da sind!“

Wenn man der Natur verbunden sei, müsse man daraufhin etwas tun, erklärt der ARGE-Vorsitzende, woher er, trotz mancher Rückschläge, in all den Jahren seine Motivation für die ehrenamtliche Arbeit beziehe. Die Verleihung des Gewässerentwicklungspreises sei da ein aktueller Antrieb, sich weiter für intakte Systeme in der Nister, einigen ihrer Nebenflüsse oder auch der Wied einzusetzen.

Uwe Schmalenbach

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Dazu da, um die Gesetze passend zu machen

Von „MANN Naturenergie“ habe sie schon oft gehört, berichtet Katrin Eder schmunzelnd. Das Unternehmen im Westerwald, das sich mit erneuerbaren Energien befasst, „musst du dir einmal ansehen“, habe man ihr empfohlen, schildert die rheinland-pfälzische Umweltministerin (Bündnis 90/Grüne) weiter, während sie mit Markus Mann und einigen seiner leitenden Angestellten zum Meinungsaustausch in der Alten Schule am Firmensitz Langenbach zusammentrifft.

Trotz des beim Besuch wirklich recht ungemütlichen Wetters möchte sich Katrin Eder (dritte von links) den Langenbacher Betrieb ansehen. Fotos: Schmalenbach

Wie es sich für eine Umweltministerin heutzutage geziemt, ist Eder dort in einem Elektroauto vorgefahren. Sie sei indessen das erste Mitglied der Mainzer Landesregierung gewesen, das einen vollelektrischen Pkw nutzt, so die Politikerin. Und schon entspinnt sich eine lebhafte Diskussion rund um die kleinen und großen Hürden der Energiewende, Erfahrungen mit dem Netz der Ladestationen oder den Reichweiten im Winter, die die zur MANN-Gruppe gehörenden „Westerwälder Holzpellets“ (WWP) bislang im Schwerlastverkehr gemacht haben. Denn die WWP nutzen inzwischen für sieben von zwölf ihrer Lkw vollelektrische Modelle (die „Wäller Energiezeitung“ berichtete).

Die Ministerin ist sehr interessiert an der Frage, woher die WWP das Holz, den nachwachsenden Rohstoff für ihr Sägewerk beziehen können und wie die Situation der Wälder im Westerwald oder dem benachbarten Sauer- und Siegerland ist. Markus Mann erläutert, dass das Holz zukünftig von weiter weg kommen müsse, da die heimischen Wälder im Prinzip tot seien. Und dass sein Unternehmen darum ambitionierte Bahnpläne verfolge, bei denen eine alte Trasse der „Westerwaldbahn“ dereinst für den Rundholztransport zum Werk in Langenbach bei Kirburg genutzt werden solle, jedoch einige wenige Kommunalpolitiker dagegen kämpfen würden (die „Wäller Energiezeitung“ berichtete).

Ob es ihr Politikstil, eine Seite ihrer Persönlichkeit, die gereifte Einsicht, dass Politik besser vermittelt werden muss, als das speziell die Grünen (auf Bundesebene) zuletzt vermocht haben, oder eine Mischung aus allen Aspekten ist? Wie auch immer die Antwort lautet, fällt bei allen zwischen der Ministerin und dem Energiepionier diskutierten Themen auf, dass Katrin Eder recht viel nachfragt. „Was meinen Sie, woran das liegt?“ „Woran hängt es?“ „Was müssen wir ändern? Wir sind in der Politik dazu da, die Gesetze passend zu machen.“ Solche und ähnliche Sätze fallen an diesem frühen Nachmittag vielfach. Eder macht sich unterdessen viele Notizen zu den Dingen, die sie beim Besuch von „MANN Naturenergie“ erfährt (siehe dazu auch das Interview auf den Seiten 4 bis 6 der neuen „Wäller Energiezeitung“-KOMPAKT).

Während des Austauschs in der Alten Schule stellt die Grünen-Politikerin (rechts) häufig Rückfragen.

Mann und seine Mitarbeiter führen unter anderem das Beispiel des Zubaus von Photovoltaik im Arealnetz des Unternehmens an. Dabei werde man mit Problemen konfrontiert wie dem Hemmnis, dass das sogenannte „Insel-Netz“ der Firma jedes Mal von neuem zertifiziert werden müsse (was mit erheblichen Kosten und Verzögerungen verbunden ist), wenn auf einer freien Dachfläche auch nur zehn Kilowatt zusätzliche Leistung durch Solarmodule installiert werden sollen. „Jetzt erklären Sie mir das nochmal“, sagt Katrin Eder abermals. Und scheint tatsächlich überrascht zu sein, dass solche und ähnliche Beschwernisse all jenen Unternehmen zu schaffen machen, die bereits versuchen, in ihrem eigenen Verantwortungsbereich verstärkt erneuerbare Energien einzusetzen.

Bei allen problematischen Punkten kann die Umweltministerin des Landes auch positive Beobachtungen darlegen. Etwa von einer Akzeptanzstudie, die ihr Ministerium hat durchführen lassen. Demnach habe die große Mehrheit der Rheinland-Pfälzer (69 Prozent) keine Angst mehr vor gehäuften Stromausfällen durch immer mehr Ökostrom in den Netzen. So jedenfalls die Studie, die das Landesumweltministerium in Auftrag gegeben hat und für die die „Forsa Politik- und Sozialforschung GmbH“ vom 3. bis zum 26. Mai 2023 rund 2.500 Rheinland-Pfälzer über 18 Jahre befragt hat.

Die Umweltministerin zückt das Handy und hält zahlreiche Eindrücke des Besuchs von „MANN Naturenergie“ fotografisch fest.

2019 war Katrin Eder noch Umwelt- und Verkehrsdezernentin der Landeshauptstadt. Während des sich an die Diskussion in der Alten Schule anschließenden Betriebsrundgangs erzählt sie davon, wie sie seinerzeit die Einführung des ersten vollelektrischen Müllwagens in Mainz begleitet habe. Kurz darauf bleibt sie, an einem ebenso elektrisch angetriebenen Nutzfahrzeug, stehen, zückt das Smartphone und fotografiert einen der nagelneuen „Volvo Electric“ des Langenbacher Energieversorgers WWP.

Schon seit der ersten „Windmühle“, die Markus Mann vor fast 33 Jahren in seinem Heimatdorf aufstellen ließ, gab es dort stets etwas Neues, Ungewöhnliches, zuweilen Experimentelles zu sehen, das immer mit „grüner“ Energie und der Energiewende zu tun hatte. Und das dem Anschein nach selbst eine Fachpolitikerin wie die Umweltministerin des Landes zuvor noch nicht in der praktischen Anwendung betrachten konnte.

Nach einigen weiteren Fotos wie jenen von den vertikal montierten Photovoltaik-Modulen, die in kreisrunder Anordnung an den großen WWP-Pelletsilos hängen, ist die Besuchszeit um, der Dienstwagen Katrin Eders unterdessen mit „MANN Strom“ wieder aufgetankt und bereit für die Weiterfahrt zum Anschlusstermin, bei dem es um die Landwirtschaft gehen soll.

Zwei Stunden danach sind bereits die nächsten Besucher in Langenbach angekündigt: Eine Gruppe der CDU will ebenso erfahren, wie Markus Mann und sein Team an der Energiewende im eigenen Bereich arbeiten; und dabei manche Lösung erproben, die auch im großen Stil eingesetzt werden könnte.

Uwe Schmalenbach

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Sicherer Ort zum Lernen, Spielen – und Ernten

In Langenbach werden nördlich des Rundholzplatzes der „Westerwälder Holzpellets“ (WWP) gerade Solarzellen umgebaut. Auch Tausende Kilometer entfernt, in der peruanischen Gemeinde Alto Tiwinza, hat man sich mit Photovoltaik beschäftigt: An der örtlichen Grundschule sind Solarmodule installiert worden, um die Einrichtung mit Strom zu versorgen. Es ist nur eine von vielen Maßnahmen, die umgesetzt wurden, seit „MANN Naturenergie“ damit begonnen hat, den Bau der Schule zu unterstützen.

Derzeit besuchen 30 Kinder die Grundschule.

Rückblick: 2015 beschloss der Langenbacher Energieversorger, sich an einem Projekt der „Reiner Meutsch Stiftung FLY & HELP“ zu beteiligen: Die Organisation mit Sitz in Kroppach wollte mit Hilfe von Spenden ein neues Grundschulgebäude in Alto Tiwinza errichten (die „Wäller Energiezeitung“ berichtete). Zwar gab es dort bereits eine Schule, doch die hatte so erhebliche Mängel und war dadurch einsturzgefährdet, dass ein Neubau dringend notwendig war. MANN wollte das Vorhaben mit realisieren und trug als Spender die Kosten des Baus. Der Förderumfang des 2016 begonnenen Projekts beinhaltete nicht nur die Errichtung des neuen Schulgebäudes, sondern unter anderem ebenso Sanitäreinrichtungen und eine Schulküche. Bereits im Folgejahr war die Errichtung des Schulgebäudes abgeschlossen.

Das Gebäude befindet sich in Alto Tiwinza, einer ländlichen Gemeinde an der Ostseite der Andenkette. Fotos: Fly&Help

Seither ist einiges mehr erreicht worden: Neben den Klassenräumen gibt es nunmehr auch ein Lehrerzimmer, in einem Schulgarten wird eigenes Gemüse angebaut. Die 30 Erst- bis Sechsklässler – 19 Mädchen und elf Jungen –, die aktuell die durch MANN geförderte Schule besuchen, finden in Alto Tiwinza tolle Unterrichts-, aber auch Pausenbedingungen vor. Auf einer Fläche neben dem Schulgebäude dienen zwei Holzbögen als Tore eines Fußballplatzes, eine kleine Betonplatte wurde als Spiel- und Übungsplatz für die Schüler ergänzt. Der Untergrund erfüllt darüber hinaus noch eine zweite, überaus wichtige Funktion: er hilft dabei, das Eindringen von Schlamm in die Klassenräume an Regentagen zu verringern.

Dank eines neu errichteten Dachs müssen die Kinder während des Unterrichts auch nicht mehr unter der Sonnenhitze leiden. Und neben den eingangs bereits erwähnten Solarzellen verfügt die Grundschule mittlerweile sogar über Satelliteninternet. Ebenso erfreulich: Parallel zu dem Schulprojekt ist auf dem Gelände ein Hektar mit Kiefern aufgeforstet worden. In den nächsten Jahren, so der Plan, soll Holz geschlagen und der Erlös aus dessen Verkauf in die Instandhaltung und Umzäunung der Schule investiert werden.

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„Kernenergie ist eine wunderbare Ausrede“

Seit vielen Jahren wird am Stammtisch gerne darüber diskutiert, dass in Deutschland „die Lichter ausgehen“, sobald die Stromerzeugung vermehrt durch erneuerbare Energien erfolgt. Doch im vergangenen Jahr erzielten eben diese Rekordanteile, deckten 2023 erstmals mehr als die Hälfte des gesamten Jahres-Stromverbrauchs in Deutschland. In den letzten Dezemberwochen lag der Anteil erneuerbarer Energien an der gesamten Nettostromerzeugung in Deutschland sogar deutlich über 80 Prozent – und trotzdem fuhren U-Bahnen und Aufzüge, hatten die Haushalte Licht und die Industrie Energie für ihre Anlagen. Woher stammen dann bloß all diese Energiemythen? Darüber sprach Andra de Wit mit Professor Dr. Volker Quaschning, Ingenieurwissenschaftler und Experte für regenerative Energien.

Volker Quaschning ist Ingenieurwissenschaftler und Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Foto: Quaschning

Sie beschäftigen sich schon lange mit Fragestellungen rund um die Energiewende. Haben Sie den Eindruck, dass es seit den 1990er-Jahren viele „Argumente“ gegenüber erneuerbaren Energien gibt, die sich bei näherer Betrachtung als falsch oder verzerrt herausstellen?
Die Mythen verändern sich ein bisschen. Ein Argument in den 1990er-Jahren war etwa, dass mehr als vier Prozent erneuerbare Stromerzeugung in Deutschland technisch nicht möglich sei. Heute sind wir bei über 50 Prozent. Das heißt, das „technisch Unmögliche“ haben wir erreicht. Und inzwischen sagt man: „Mehr geht ja nicht.“ Als Ingenieurwissenschaftler weiß ich, dass man natürlich sehr viele Sachen dafür tun muss, damit etwas klappt. Ohne Veränderungen kann man die Speicher- oder Netzfragen nicht klären. Aber einfach zu sagen, dass etwas nicht geht: Dadurch gelingt ja nichts.

Es wird immer wieder erzählt, dass die Netze zusammenbrechen, wenn Großkraftwerke fehlen. Aber: Allein in den letzten Dezemberwochen 2023 lag der Anteil erneuerbarer Energien an der gesamten Nettostromerzeugung in Deutschland in der Spitze über 80 Prozent – und doch sind die Lichter der Weihnachtsbeleuchtungen nicht ausgegangen.
Ja, und das war eigentlich auch schon vor 30 Jahren klar, dass das technisch möglich ist. Natürlich muss man die Maßnahmen dazu treffen. Wir brauchen technische Lösungen. Ein altes System kann man nicht eins zu eins in ein neues übertragen, da muss man ein paar Weichen stellen und, wie gesagt, Speicher und Netze mitbedenken.

Beweisen die Rekordanteile der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung, dass wir auf einem guten Weg sind?
Ja und nein. Wir sollten immer den Klimaschutzpfad betrachten: Beim Strom sieht es schon ganz gut aus, aber die Bereiche Verkehr und Wärme sind weiterhin die Sorgenkinder. Wir erzeugen deutlich über 50 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien. Sehen wir uns aber alle Sektoren an – also Strom, Wärme, Verkehr, Industrie –, liegen wir ungefähr bei 21 Prozent erneuerbare Energien. Das heißt, es fehlen noch knapp 80 Prozent zur Energiewende. Wir brauchen viel mehr Tempo beim Ausbau.

Man hört oft, dass unsere Stromversorgung nur deshalb funktionieren würde, weil Deutschland viel Strom dazu kaufe. Aber ist es nicht vielmehr so, dass wir eher einen Stromüberschuss haben und viel exportieren können?
Auch hier gilt: Ja und nein. In den letzten zehn Jahren haben wir einen deutlichen Überschuss gehabt. Das hat sich etwas geändert. Mit dem Abschalten der Kernkraftwerke und mit den hohen Gas- und Kohlepreisen haben wir im Jahr 2023 leicht importiert, keine großen Mengen. Aber nicht, weil wir es mussten, sondern aus rein ökonomischen Gründen: Es ist einfach wirtschaftlicher, mal ein Kohlekraftwerk in Deutschland auszuschalten und von einem billigeren im Ausland Strom zu importieren. Wir sind zu einem Importland geworden, das ist richtig. Und es kommt so auch Atomstrom nach Deutschland, das lässt sich bei einem europäischen Stromhandel nicht vermeiden. Doch es kommt mehr Strom aus erneuerbaren Energien als Atomstrom zu uns. Insofern wird da, wie Sie schon sagten, vieles verzerrt wiedergegeben. Die Suggestion, dass wir Kernenergie aus dem Ausland bräuchten, damit unsere Stromversorgung sicher ist, ist komplett falsch.

Auf www.electricitymaps.com kann jeder selbst nachsehen, welche Region der Welt wie viel CO2 produziert und aus welchen Quellen der Strombedarf gespeist wird. Für Deutschland zeigen die Daten, dass die Erneuerbaren im gesamten Jahr 2023 weit mehr als die Hälfte unseres Stromverbrauchs decken konnten. Grafik: electricity maps

Welche „Hürden“ und Vorbehalte werden noch vorgebracht?
Die Dunkelflaute wird immer wieder aufgeworfen oder die Grundlastfähigkeit. Auch die Kernenergie kommt ständig als Mythos hervor. Sie wird in keinem Land der Welt zur Klimaneutralität führen und hat weltweit verschwindend geringe Anteile an der Gesamtenergieerzeugung. Es gibt nur noch wenige Länder wie Frankreich, die da ein bisschen drüber liegen. Trotzdem wird von manchen ein Boom der Kernenergie unterstellt, der gar nicht stattfindet. Wenn man sich die Zahlen ansieht, erkennt man das ganz deutlich.

Auswertungen der Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEA) belegen tatsächlich, dass das Gegenteil der Fall ist: dass die Zahl der AKW 2023 weltweit geschrumpft und die Atomstromproduktion heute niedriger als vor 20 Jahren ist. Dennoch wird in manchen politischen Kreisen behauptet, dass es ein Fehler gewesen sei, Atomkraftwerke abzuschalten – und dass im Ausland weiterhin auf Atomkraft gesetzt werde, nur hierzulande nicht.
Ja, auch in Deutschland – von der AfD bis hinüber zu CDU/CSU – wird die Kernenergie gerne als Lösung entgegengebracht. Die Frage ist: Warum tut man das? Selbst, wenn man drei Kernkraftwerke weiter laufen lassen würde, würde dies bei der Energiewende überhaupt nicht helfen. Was für ein Wunsch steckt also dahinter?

Können Sie sich das erklären?
Die Lösung ist, glaube ich, ganz einfach: Die Kernenergie ist ja eine wunderbare Ausrede! Wenn ich Kernenergie als etwas Gutes begreife, verschiebe ich das Lösen der Probleme wieder in die Zukunft. Denn uns allen ist klar, dass wir Veränderungen brauchen, diese aber nicht von allen mitgetragen werden – wir sehen das aktuell etwa bei den Bauernprotesten wegen des Subventionsabbaus im Energiebereich. Und das ist natürlich für die Politik ebenso wie für die Gesellschaft unangenehm. Deswegen versucht man Ausreden zu finden, warum wir die Veränderungen eigentlich gar nicht benötigen. Dazu dient entweder die Kernenergie oder Aussagen wie: „Das mit den erneuerbaren Energien klappt sowieso nicht“, „Die anderen machen das ganz anders.“ Das sind die immer gleichen „Argumente“, die aber alle in dieselbe Richtung gehen: Wir wollen nichts verändern, weil wir Angst vor Veränderung haben. Und daher suchen wir nach einer Ausrede, warum alles so bleiben kann, wie es ist.

Findet bewusste Täuschung nur durch politische Akteure statt oder auch durch Lobbyarbeit?
Ich denke, in den 1990er-Jahren war da ganz sicher die Energielobby die treibende Kraft. Große Energiekonzerne, die Kohle- und Atomkraftwerke betrieben haben, hatten natürlich kein Interesse an Veränderung. Das hat sich ein bisschen gewandelt: Die großen Energiekonzerne haben mittlerweile verstanden, dass Atom- und Kohleenergie keinen Sinn mehr machen, denn auch diese Konzerne müssen betriebswirtschaftlich denken. Doch es gibt viele Interessensgruppen, und zu denen zählt auch noch die Öl- und Gaslobby in den westlichen Ländern. Wir sprechen viel über Desinformation aus Russland, die nach Deutschland überschwappt: da steht das Interesse dahinter, weiter Gas zu verkaufen. Die Angst vor den Erneuerbaren ist für politische Kräfte aus dem Rechts-Außen-Bereich weltweit durchaus vorteilhaft. Hauptsächlich hört man die Argumente aus der Politik und aus der Gesellschaft. Ich glaube, dass die Politik einfach das ausspricht, was die Gesellschaft sich wünscht.

Und was ist das konkret?
Dass es keine Klimaveränderung gibt und die Welt so bleiben kann, wie sie ist. Am besten also zurück in die 1980er- oder 1990er-Jahre, wo angeblich „stabile Verhältnisse“ herrschten. Dieses Narrativ wird von der Politik bedient. Da wird dann in Bayern die Laufzeit eines Atomkraftwerks verlängert und im Gegenzug verkündet, dass man dort ja nun keine Windkrafträder braucht. Alles, was unangenehm ist, kann unterbleiben. Das wird zwar so nicht ausgesprochen, aber zwischen den Zeilen verstehen das zumindest die Menschen, die diese Politiker wählen. Natürlich sind das Versprechen, die nicht eingehalten werden können.

Können Sie das genauer erläutern?
Das ist reine Machtpolitik. Man verspricht Menschen etwas und hofft, dass dies in drei, vier Jahren wieder vergessen sein wird oder alles am Ende doch nicht so schlimm kommt und man das Problem einfach aussitzen kann.

Wie funktioniert diese Strategie im Detail?
Es werden Ängste geschürt. Die AfD möchte zum Beispiel Angst vor den Grünen schüren, denen ja Anliegen rund um erneuerbare Energien tendenziell zugeordnet werden. Es wird eine Antiposition eingenommen und gegen die andere Position Stimmung gemacht, um Stimmen zu erhaschen.

Man müsse alles versuchen, um die Gesellschaft aufzuklären, meint Quaschning (hier bei einem Vortrag): „Deshalb mache ich mich in der Wissenschaftskommunikation stark. Denn leider können viele Menschen nicht mehr zwischen Fake News und wissenschaftlicher Nachricht unterscheiden.“ Foto: Bruce B./Dieffenbacher

Von einer normalen Debattenkultur kann da also nicht die Rede sein?
Ja, und was mir ein bisschen Sorge macht: Die Klimaschutzziele werden derzeit gerade so noch eingehalten, weil wir einfach wegen der Energiekrise zuletzt viel Energie eingespart haben. Doch wir können eindeutig sehen, dass das, was wir mit den eingeleiteten Maßnahmen erzielen werden, nicht ausreichen wird. Daher muss die nächste Regierung ganz klar deutlich größere Klimaschutzmaßnahmen treffen. Tut sie das nicht, wird es dazu Urteile höchst richterlicher Art geben. Das heißt, ein Herr Merz müsste als möglicher Bundeskanzler eigentlich sehr ambitionierten Klimaschutz betreiben. Ich würde mir daher in der politischen Debatte wünschen, dass auch die Union mal formuliert, wie sie das erreichen möchte. Es gibt aber gar keinen Plan, der auf dem Tisch liegt. Und das bereitet mir Sorgen. Denn eigentlich würde man sich das in einer Demokratie anders wünschen.

Wie genau?
Dass alle großen Parteien einen Vorschlag machen und man sich am Ende für den besten entscheidet. Die Grünen haben einen Vorschlag gemacht, der für das Erreichen der Klimaschutzziele am ehesten in die richtige Richtung geht, aber noch nicht einmal ausreichend war. Von den anderen Parteien kommen im Prinzip gar keine sinnvollen Vorschläge, die erkennbar werden lassen, wie wir klimaneutral werden sollen. Und dadurch werden natürlich diese Kämpfe, die wir jetzt zunehmend sehen, fortlaufen. Zum Beispiel aktuell bei der Streichung von Agrarsubventionen. Denn wir müssen die Klimaschutzziele einhalten, es gibt ja schon vom Verfassungsgericht einen Richterspruch dazu, und es wird weitere geben. Wenn man dann mit der „Brechstange“ vorgehen muss, wird es massivste Widerstände aus der Bevölkerung geben, weil die Leute so schnell nicht mitgehen können. Das heißt, diese Antipolitik und diese Lösungsverweigerung, die die Politik vorantreibt, ist aus meiner Sicht am Ende auch demokratiegefährdend. Wenn die Menschen nicht mitgenommen werden, ist das natürlich ein idealer Nährboden für Populisten und die AfD.

Kann man dieser Entwicklung mit faktenbasierter Aufklärung überhaupt noch entgegenwirken?
Man muss es natürlich versuchen. Man findet in den sozialen Netzwerken alle möglichen Fake News, und auch den Medien wird nicht mehr sonderlich viel zugetraut. Da ist bei manchen eine Telegram-Verschwörungsnachricht genauso viel wert wie ein recherchierter Bericht in der „Tagesschau“. Und es ist natürlich schwer, zu solchen Menschen durchzudringen. Aber ich sage mir immer: Am Ende gewinnt stets das seriöse Argument. Wenn man zeigt, dass etwas funktioniert, bekommt man diese Mythen entkräftet. Die Elektromobilität zum Beispiel wurde so sehr abgelehnt: Man kommt nicht weit, man bleibt im Stau liegen und was da nicht alles behauptet wurde! Ich fahre schon sehr lange elektrisch, und am Anfang waren die Nachbarn ebenfalls skeptisch. Aber dann sahen die halt: Der Herr Quaschning fährt in den Urlaub – und er kommt auch wieder zurück. (lacht)

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Einst Lohmühlen, jetzt neue Ladesäulen am „Löwenbad“

Am Anfang stand eine öffentliche Ausschreibung der Verbandsgemeinde Hachenburg, am Ende hat „MANN Naturenergie“ offenkundig das wirtschaftlichste Angebot dazu abgegeben: Auf dem Parkplatz direkt am beliebten „Löwenbad“ der Residenzstadt hat die „Abteilung eMobilität und Infrastruktur“ zwei Ladesäulen des niederländischen Herstellers „Alfen“ installiert. Somit können nun draußen bis zu vier Fahrzeuge gleichzeitig echten Ökostrom „tanken“, während ihre Fahrer drinnen im Bad den Whirlpool oder Wasserfall genießen.

Selbstverständlich dürfen nicht nur „Löwenbad“-Besucher ihre Elektroautos laden. Es handelt sich um öffentliche Ladesäulen. Jede davon bietet eine Leistung von 22 Kilowatt (kW) und je zwei Ladepunkte.

Damit deren Nutzung besonders einfach ist, benötigt man fürs Stromtanken am „Löwenbad“ keinerlei vorherige Registrierung, Freischaltung oder besondere Ladekarte: Jede heute übliche EC-Karte reicht aus, um den Ladevorgang zu starten und über das „Giro-E“-System unkompliziert mittels anschließender Lastschrift zu bezahlen. Gleichwohl akzeptieren die von MANN aufgestellten beiden „PG Line“ ebenso die gängigen Ladekarten, wobei es zuweilen sein kann, dass das Laden mit der EC-Karte sogar preisgünstiger ist.

Mit einer EC-Karte lässt sich der Ladevorgang starten.

Darüber, dass man nur die exakte Menge echten Grünstrom bezahlt, den man wirklich „getankt“ hat, wacht eine eichrechtskonforme Ausführung der öffentlichen Säulen. Sie sind Eigentum der Verbandsgemeinde Hachenburg, die Abrechnung des Ladens erfolgt über „MANN Naturenergie“.

Das Langenbacher Unternehmen hat inzwischen allein in Hachenburg sechs Säulen bereitgestellt. Am beliebten Kino „Cinexx“ finden sich zwei Ladevorrichtungen von MANN, die „Westerwald-Brauerei“ wurde ebenfalls mit der Technik aus Langenbach versorgt und hat sogar besonders leistungsstarke Schnelllademöglichkeiten von der „Abteilung eMobilität und Infrastruktur“ erhalten.

Einstmals fanden sich übrigens am unmittelbar hinter dem Hachenburger „Löwenbad“ vorbeifließenden Oberbach die Lohmühlen der Stadt (daher der Straßenname des Weges, der zum Parkplatz mit den neuen Ladern führt). Die Gerber nutzten früher die Wasserkraft des Bachs, um Häute und Felle zu bearbeiten. Das allerdings war nicht der einzige Grund, warum die Zunft unweit der Stelle angesiedelt war, an der heute Elektroautos geladen werden können: Man untersagte ihnen schlichtweg ihre Arbeit im Stadtkern – der Gerüche wegen und wegen der durch sie verursachten „Umweltverschmutzung“, wie es hieß. Ausgerechnet am selben Ort kann nunmehr zertifizierter, „sauberer“ Ökostrom getankt werden…

Ein „statisches Lastmanagement“ wacht darüber, dass die 22 kW Leistung im Bedarfsfall auf zwei Autos an einer Säule verteilt werden.

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Die zwei gaben ihm Mut

Man muss sich das einmal einen Augenblick lang vergegenwärtigen. Bier hatte man in der „Westerwald-Brauerei“ zu jenem Zeitpunkt schon seit 137 Jahren gebraut. Doch eines Tages passierte etwas Ungewohntes: Heiner Schneider, zu jener Zeit Chef des Hachenburger Unternehmens, erhielt einen ungewöhnlichen Anruf. Ein gewisser Markus Mann war dran, damals, im Jahr 1998, und er wollte Strom verkaufen. Jedoch nicht irgendwelchen Strom, sondern ausgerechnet „Grünstrom“ – etwas, worüber selbst Interessierte zu jenem Zeitpunkt noch nicht allzu viel gehört hatten.

Heiner Schneider, Markus Mann und Friedhelm Haas (von links) erinnern sich gerne an den Start ihrer Zusammenarbeit vor 25 Jahren.

Schneider nahm das Angebot spontan an. Und wie er, gab auch Friedhelm Haas, 1998 „Abteilungsleiter Sonderverträge“ bei den Stadtwerken Bonn (SWB), dem jungen Energiepionier aus dem Westerwald eine Zusage – beide, Schneider und Haas, gewiss nicht im vollen Bewusstsein für die Tragweiten ihrer Entscheidung. Denn damit legten sie, wie man heute weiß, vor 25 Jahren einen gewichtigen Grundstein, der Manns Arbeit für eine klimaneutrale Energieversorgung wesentlich voranbrachte.

Friedhelm Haas erinnert sich noch immer gut an die vom Verein „Eurosolar“ veranstaltete Konferenz in Bonn. Eine Politikerin der „Grünen“ „schoss“ heftig gegen die erst kurz zuvor in Kraft getretene „Verbändevereinbarung“, die im Gas- und Strombereich den Netzzugang auf dem soeben liberalisierten Energiemarkt regelte. „Da bin ich sauer geworden, habe mich bei der Veranstaltung vorne hingestellt und meine Position dargelegt. Mein ‚Aufritt‘ hatte dem Markus Mann, den ich seinerzeit noch nicht kannte, so gut gefallen, dass er mich in einer Pause ansprach“, schmunzelt er.

Ergebnis dieses ungeplanten Zusammentreffens war kurze Zeit darauf eine Vereinbarung für den Bezug von Ökostrom aus dem Westerwald. „Den haben wir in Bonn dann als ‚BonnNatur Strom‘ vertrieben“, erzählt Haas, „und waren mit die ersten, die nachweisbar 100 Prozent Grünstrom hatten. Zu meiner Freude existiert das Produkt heute noch!“, betont der Pensionär.

1998 war für die gesamte Bundesrepublik Deutschland ein Schicksalsjahr, was die Energieversorgung in den heimischen vier Wänden wie in Gewerbebetrieben anging: erstmals wurde es möglich, einen Anbieter frei auszusuchen! Bis dahin, das erscheint uns heute fast unwirklich, musste man mit dem leben, was der örtliche Energieversorger halt lieferte – selbst wenn es Strom aus Atomkraft oder schmutzigsten Kohlekraftwerken war, eine Wahlfreiheit existierte nicht.

Doch als vor einem Vierteljahrhundert der Energiemarkt durch politische Entscheidungen liberalisiert wurde, war die „MANN Naturenergie“, die Markus Mann bereits 1993 ins Leben gerufen hatte, vom ersten Tag an dabei und bot Stromkunden eine ökologische Alternative an. Hatte am Anfang von Markus Manns unternehmerischem Weg die „MANN Windenergie KG“ gestanden, die im Herbst 1990 gegründet wurde und ihre erste Windkraftanlage im April des Folgejahres in Betrieb nahm, erhielt die drei Jahre jüngere„MANN Naturenergie GmbH & Co. KG“ mit der gesetzlichen Liberalisierung des Energiemarktes in der Bundesrepublik Deutschland anno 1998 erstmals die Möglichkeit, eigenen Ökostrom zu vermarkten.

Friedhelm Haas war zu jenem Moment bereits ein sehr erfahrener Experte. Er hatte in Gummersbach studiert, als diplomierter Ingenieur der Elektrotechnik abgeschlossen und im Anschluss drei weitere Jahre im Oberbergischen gearbeitet. Am 1. April 1974 („Manche sagen, es sei ein Aprilscherz gewesen“, lacht Haas) wechselte er von dort zu den Stadtwerken Bonn, zunächst eben im besagten Amt als Abteilungsleiter Sonderverträge. Später stieg er weiter auf zum Bereichsleiter, erhielt er sogar Prokura seines Arbeitgebers, bei dem er 33 Jahre blieb.

Haas‘ erstes großes Projekt nach dem Wechsel an den Rhein war übrigens die Stromversorgung des neu errichteten Bundeskanzleramtes in Bonn. Offenbar jemand, der auch mit anspruchsvollen, außergewöhnlichen Aufgaben gut zurecht kam.

Tanja Mann, Markus Mann, Friedhelm Haas, Heiner und Carla Schneider, Jörg Thielmann (Leiter Finanzwesen bei MANN) und der Leiter der „MANN-Strom“-Abteilung, Thomas Solbach, (von rechts nach links) haben in mit grünem Leder bezogenen Schwingstühlen Platz genommen, die im Plenarsaal von 1949 bis 1987 als Sitzmöbel für die Abgeordneten des Deutschen Bundestages dienten. Heute sind sie im „Haus der Geschichte“ in Bonn zu sehen – das über die Stadtwerke Bonn ebenfalls mit „MANN Strom“ versorgt wird. Fotos: Schmalenbach

Heiner Schneider trat 1976 in die „Westerwald-Brauerei“ ein, übernahm 1981 in vierter Generation die Leitung. „Als jungem Pimpf sagte Ihnen Naturschutz und Umweltproblematik damals erst einmal noch gar nichts!“, blickt er zurück. „Aber dann kommen Sie in eine Branche, die ihre Produkte nur mit vier Lebensmitteln herstellen darf – Wasser, Malz, Hopfen und Hefe. Eben entsprechend dem Reinheitsgebot.“

Irgendwann sei ihm klar geworden, führt Schneider aus, dass das Bier nur so gut sein könne, wie es die Natur zulasse. „Und in welchem Zustand die Natur sein wird, hängt von uns Menschen ab – weil wir sie zu stark nutzen, verunreinigen. Bier wird zu über 90 Prozent aus Wasser hergestellt. Und wenn wir merken, dass die Flüsse eine immer schlechtere Wasserqualität aufweisen, zusehends weniger Fische darin sind, dann erkennen Sie, dass damit den Menschen irgendwann die Lebensgrundlage entzogen werden würde und natürlich auch einer Lebensmittelbranche wie den Brauern.“

Heiner Schneider sah, wie der früher boomende Pestizid-Einsatz in der Landwirtschaft die Artenvielfalt bedrohte, bemühte sich um Gerste aus kontrolliertem Anbau und passte dafür die Preise der Biere aus Hachenburg an, um sich die hochwertigeren Rohstoffe erlauben zu können.

Er investierte viel Geld in Gewässerschutz und -aufbereitung, gründete einen Umweltfonds, erhielt 1985 erstmals einen Umweltschutzpreis für die Bemühungen der Brauerei. „Wir sind unter den bundesweit ersten zehn Brauereien gewesen, die bereits 1996 ihr Öko-Audit nach Standards der Europäischen Gemeinschaft ablegten! Ich habe mich zudem dafür eingesetzt, dass wir von Einweg-Gefäßen auf Mehrwegflaschen gegangen sind“, schildert der frühere Brauerei-Chef.

Und dann klingelte eines Tages eben Schneiders Telefon. „Da kam der Anruf von Markus“, erzählt er: „Ich würde dir gerne Naturstrom liefern – würdest du mitmachen?“ Heiner Schneider zögerte keinen Moment: „Sofort!“, antwortete er dem Grünstrom-Pionier.

Die Geschichte seit 1945 wird in der Schau in Bonn gezeigt. Das Haus eröffnete 1994 im Juni. Keine vier Jahre später wurde der Strommarkt in Deutschland liberalisiert.

Örtliche Energieversorger hatten bis dahin, wie überall in Deutschland, genauso im Westerwald ein Monopol gehabt. „Auch deswegen wollte ich ‚MANN Energie‘ unterstützen, um damit etwas gegen die Preisdiktate der bis dato herrschenden Monopolisten zu unternehmen“, erläutert Heiner Schneider trotzig. Ein weiterer Aspekt sei für ihn gewesen, dass MANN ein regionaler Anbieter war. „Hätte mich einer aus Hamburg oder München angerufen, hätte ich möglicherweise auch ‚ja‘ gesagt, aber bei Markus habe ich das mit einer noch erheblich höheren Motivation getan! Ich verkaufe mein Bier im Westerwald, trage ihn im Namen der Brauerei – wenn der Ökostrom, den ich aus Umweltschutzgründen haben wollte, ebenfalls aus der Region kommt, passen da doch Pott und Deckel zusammen. Und das Menschliche spielte zusätzlich mit hinein: Ruft Sie jemand aus einem großen Konzern aus München oder Hamburg an, sind Sie da eine Nummer, kennen da keinen. Also: Mein gewachsenes Umweltbewusstsein, die Liberalisierung des Strommarktes und endlich ein Liefervertrag, der der eigenen Unternehmens-Philosophie entspricht: das alles waren die Gründe für mein ‚Ja‘ an Markus.“

Den regionalen Aspekt stellt Friedhelm Haas ebenfalls heraus: „Ich hätte genauso Strom aus Wasserkraft in der Schweiz oder Österreich kaufen können. Aber das regionale Moment – Strom aus dem nahen Westerwald, den man aus dem Stadtgebiet Bonn beinahe sehen kann –, das war und ist bis heute etwas Besonderes an der Partnerschaft mit ‚MANN Energie‘.“ In den ersten Jahren der Zusammenarbeit fuhr Haas deshalb mehrfach mit Bussen voller „BonnNatur Strom“-Kunden in den Westerwald, um sich dort in Langenbach anzusehen, wie „MANN Energie“ an der Energiewende arbeitete. „Wir konnten den Menschen zeigen, dass das Konzept nicht bloß als Werbung in unseren Papieren stand – man konnte über den Hof laufen, und sich angucken, was wirklich passiert.“

Friedhelm Haas (rechts) anno 1998 beim Beginn der Zusammenarbeit mit Markus Mann…

„Genug“ habe es gegeben, entgegnet Friedhelm Haas vielsagend auf die Frage, ob sein Bemühen um die Verwendung von Ökostrom seinerzeit in den SWB Widerstände hervorgerufen habe. Und er verrät: „Plötzlich bekamen wir vom vormaligen Stromlieferanten RWE Angebote, von denen man früher nur träumen konnte. Aber ich konnte unsere Geschäftsleitung letztlich davon überzeugen, dass wir mit dem regionalen Öko-Strom arbeiten.“

…und heute beim Spaziergang durch Bonn, zusammen mit Heiner Schneider (rechts), der ebenfalls gleich zu Beginn des freien Strommarktes auf „MANN Strom“ umstieg.

Friedhelm Haas war also der geistige Vater von „BonnNatur Strom“, der bis heute genutzt wird. Straßenbeleuchtungen, markante Einrichtungen in Bonn wie der UNO-Campus oder gleichermaßen das im Jahr von 850.000 Menschen besuchte „Haus der Geschichte“ werden mit dieser grünen Energie aus dem Westerwald versorgt.

„Wenn ich die beiden nicht gehabt hätte, hätte ich nicht den Mut gefunden, das Projekt Ökostrom-Lieferung direkt zum Endkunden in Gewerbe und Industrie anzustoßen“, gesteht Markus Mann im Jubiläumsjahr. Anfänglich war er verständlicherweise noch ein wenig ängstlich, startete das Vorhaben zunächst mit einem örtlichem Netzbetreiber. Zehn Jahre erfolgte der Stromvertrieb gemeinsam, „bis wir die Erfahrung und das passende Know-how hatten“, sagt Mann. „Dann hatte ich das Glück, einen Koblenzer Mitarbeiter zu bekommen, den Reinhard Weiß.“ Der ist heute ebenso Rentner wie Heiner Schneider und Friedhelm Haass und habe Mann in den wandelvollen Zeiten in seiner Idee vorangebracht und sehr beharrlich daran mitgearbeitet.

1998 hatte Markus Mann sieben oder acht Mitarbeiter, „und ich habe vielleicht eineinhalb Millionen Umsatz gemacht“, berichtet er. Heute erzielt die MANN-Gruppe im Bereich der Erneuerbaren Energien 100 Millionen Umsatz mit 100 Mitarbeitern. Aus dem Vorhaben, mit eigenen Ideen die Energiewende voranzubringen, ist in diesem Vierteljahrhundert also wahrhaft etwas geworden – auch dank der 1998er Entscheidungen von Haas und Schneider, die kaum geahnt haben können, welche Tragweite ihr Entschluss einmal haben würde.

Denn letztendlich hat ihre Unterstützung einer Idee, die mancher Zeitgenosse vormals noch als „grüne Spinnerei“ abgetan hatte, dazu geführt, dass „MANN Naturenergie“ bis zum heutigen Tag weiter an der Energiewende arbeiten konnte und inzwischen einige Tausend Menschen mit sauberem Ökostrom versorgen kann, der unter anderem vom „TÜV Süd“ zertifiziert ist. Der wacht unabhängig darüber, dass keine Mogelpackung verkauft und in Wahrheit Strom lediglich bilanziell als „öko“ umetikettiert, sondern ausschließlich echter, also physikalisch-gekoppelter Ökostrom geliefert wird. Das bestätigt ebenfalls das Label GSL.

Heiner Schneider nickt zustimmend: „Damit haben wir einem jungen Mann den Mut gegeben, um sein Vorhaben wirklich zu probieren, ja. Unsere Vereinbarungen haben ihm die Hoffnung gegeben, dass es Menschen gibt, die mit dem Herzen hinter der Idee stehen.“ Friedhelm Haas ergänzt: „Ohne solche Unterstützer hätte er die an sich ja völlig richtige Idee aus wirtschaftlicher Sorge vielleicht wieder eingestampft. Heute wäre ein Start wesentlich leichter, weil sich vieles auf dem Sektor etabliert hat, Grünstrom ist normal. Aber damals… Ich bin angeguckt worden, als ich mit Grünstrom aus dem Westerwald ankam…“, lacht der frühere SWB-Mitarbeiter.

Uwe Schmalenbach

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Winterfest

Der Winter hat bei uns im Westerwald Einzug gehalten. Derweil ist in Anzère in der Schweiz in den vergangenen Tagen eine besondere Heizung von „MANN Energie“ mit letzten Arbeiten für die kalte Jahreszeit winterfest gemacht worden. Insgesamt versorgt „Chauffage Bois Energie Anzère“, ein Unternehmen der MANN-Firmengruppe, im Wallis von einer Heizzentrale aus ein 4,7 Kilometer langes Fernwärmenetz.

Das Projekt startete damals im Jahr 2010 mit zwei Großgebäuden. Doch inzwischen stehen für die mittlerweile 100 angeschlossenen Gebäude insgesamt sieben Megawatt Wärmeleistung an der Holz-Heizzentrale zur Verfügung.

Alle großen Hotels und das Wellness-Zentrum im Ferienort Anzère werden nicht nur im Winter, sondern ganzjährig ausschließlich mit Pellets aus nachhaltiger Herstellung versorgt. Früher arbeiteten hier stattdessen Ölheizungen mit etwa 20 Megawatt Nennleistung. Nachdem diese wegen der MANN-Heizzentrale deinstalliert werden konnten, müssen jetzt die einst jährlich benötigten 1,5 Millionen Liter Heizöl nicht mehr aus fernen Ländern importiert und per Lkw hoch in die Bergwelt in den Schweizer Alpen gefahren werden.

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Das ist natürlich richtig gut

Aus 30, 40 Metern Entfernung betrachtet, scheint da ein ganz „normaler“ grauer Container zu stehen. Einer, wie ihn Unternehmen, zum Beispiel auf Baustellen, nutzen, um darin Geräte und Werkzeuge zu verstauen, oder als zusätzlichen Abstellraum neben einer Produktionshalle. Doch der Container, der seit kurzem auf dem Gelände der „Westerwälder Holzpellets“ (WWP) steht, ist wirklich eine Neuheit, die gravierende Auswirkungen haben wird – weit über besonders schnelle Ladesäulen für die Elektro-Lkw des Pelletproduzenten hinaus, die darin unscheinbar untergebracht sind.

Vier Schnelllader mit einer Leistung von jeweils maximal 300 Kilowatt (kW): Selbst der 677-PS-„Volvo“ von Maik Christ, der mit einem Gesamtgewicht von 42 Tonnen unterwegs sein darf und mit einer Akkukapazität von 540 Kilowattstunden (kWh) ausgestattet ist (siehe Seite 2), kann an einer solchen Ladestation rechnerisch in weniger als zwei Stunden komplett mit selbstproduziertem Ökostrom auf dem Gelände der „Westerwälder Holzpellets“ (WWP) wieder „vollgetankt“ werden.

Unscheinbar, aber mit enormer Auswirkung: der neue Ladecontainer.

„Am wichtigsten ist aber eigentlich, dass der neue Ladecontainer zukünftig ‚bidirektional‘ mit den Lkw-Batterien ‚schwätzt‘“, stellt Florian Höfer heraus. Höfer ist Fachmann für Anlagenprogrammierungen bei den WWP und wacht zum Beispiel mittels selbstprogrammierter „Peak-Shaving“-Software darüber, dass die „Lastspitzen“, also das Maximum der gleichzeitig benötigten elektrischen Energie dort, gewisse Höchstgrenzen niemals überschreiten. Dazu werden vom System unter anderem bei Bedarf elektrische Lasten zeitlich verschoben. Ebenso wird aktuell nicht benötigter Strom aus eigener Photovoltaik und dem Windpark Langenbach bis zu seinem Einsatz in einem Großspeicher „geparkt“.

In genau dieses bestehende System wird über die kommenden Monate der neue Ladecontainer integriert: „Wenn der Fahrer am Freitagnachmittag Feierabend macht und sein Auto an den Lader ansteckt, ehe er ins Wochenende geht“, erläutert Florian Höfer, „kann er demnächst am Container eingeben, dass er, nur mal als Beispiel, das Fahrzeug am Montagmorgen um fünf Uhr wieder braucht, um Pellets zu laden und anschließend zum Kunden zu fahren – und zwar mit vollen Akkus.“ Die Software, die Höfer einsetzt, lese über den Schnelllader den Akkufüllstand sowie die Fahrzeugidentifikationsnummer des E-Lkw aus und wisse so, wie viel Strom „getankt“ werden muss, damit er zur gewünschten Zeit abfahrbereit ist – und wie lange der Vorgang dauert. Höfer: „Wenn das, in diesem Beispiel, zwei Stunden Ladedauer bedeutet, dann kann die Akkukapazität des Lkw bald das ganze Wochenende bis zum Montagmorgen um ein oder zwei Uhr in der Nacht von uns als Ergänzung unseres Großspeichers genutzt werden, bis der Lkw geladen werden muss.“ Dieser Großspeicher, in dem 112 „second-life“-Fahrzeugbatterien zu einem insgesamt 1,4 Megawattstunden fassenden Puffer zusammengeschlossen sind (die „Wäller Energiezeitung“ berichtete), erhält durch die Lkw-Akkus also zeitweilig eine erheblich größere Gesamtkapazität.

„Wenn man sich das einmal hochrechnet, erreichen wir durch dieses Verfahren praktisch eine Verdoppelung unserer jetzigen Batteriespeicherkapazität“, verdeutlicht Florian Höfer. Jeder Lkw bringe, je nach Typ, schließlich zwischen 400 und 500 Kilowattstunden Kapazität mit. Am neuen Ladecontainer können in der Endausbaustufe vier solcher elektrischen 42-Tonner gleichzeitig angeschlossen werden. „So kommt man locker auf weitere 1,5 Megawattstunden Batteriespeicherkapazität“, betont Höfer, „du hast sie damit mal eben gerade verdoppelt! Das ist natürlich richtig gut.“

Der Vorteil der von den WWP gekauften Schnelllader im Container ist also nicht nur deren Fähigkeit, Elektro-Laster extrem rasch zu „betanken“: In jene Zeitspanne, in der durch die „angesteckten“ Fahrzeuge noch mehr „Speicherstrom“ im gesamten WWP-System und -Arealnetz vorhanden sein wird, können künftig entsprechend mehr energieintensive elektrische Lasten zum Beispiel der Pressen im Pelletwerk verschoben werden.

Um das Prinzip optimal auszunutzen, sollen Vorhersagen zum Anfall von Wind- und Solarstrom aus eigener Produktion einbezogen werden, verrät Florian Höfer. Steht viel Energie aus PV- und Windkraftanlagen zur Verfügung, erfolgen Produktionsprozesse entsprechend am wirtschaftlichsten.

„Daneben wollen wir, quasi als Kür, ebenso unsere Produktion ergänzend prognostizieren. Das heißt, wir wollen in nächster Zeit gleichermaßen die Produktionspläne im System hinterlegen, wann wir etwa Stillstände haben, weil einmal etwas gewartet werden muss, oder welche Profile wir, in Abhängigkeit vom gerade bearbeiteten Holz, im Sägewerk haben. Ein kleinerer Stamm lässt sich logischerweise mit weniger Strom sägen als ein sehr dicker.“ Der dicke wäre deswegen sinnvollerweise in solchen Phasen zu bearbeiten, in dem der Großspeicher besonders gut gefüllt ist und/oder die eigene Stromerzeugung aus Sonne und Wind ein hohes Niveau hat. „Nur ein paar Monate Programmier- und Pionierarbeit“ entfernt seien die WWP noch vom fertigen System, schmunzelt Höfer.

Ergänzend wird bei dem Verfahren der WWP außerdem der sogenannte „Day-Ahead-Preis“ berücksichtigt werden: Auf dem „Day-Ahead-Markt“ werden die Stromlieferungen für jede Stunde des folgenden Tages gehandelt. Und wenn die WWP mit dem selbstproduzierten Strom einmal nicht auskommen, dann wollen sie natürlich zu einem Zeitpunkt Strom zukaufen, zu dem dieser möglichst günstig zu haben ist. Das System, das Florian Höfer beschreibt, erlaubt es, auch zu diesem Zweck die zeitliche Verschiebung der elektrischen Lasten zu nutzen. Doch dafür muss man billigere Energie zuweilen „parken“ können – eben im Großspeicher, der durch angeschlossene Lkw-Akkus nächstens noch größer wird.

Aber eigentlich hat der Ladecontainer ja vor allem die Funktion, Fahrern wie Mike Christ und seinen Kollegen eine hohe Ladeleistung für ihre Fahrzeuge zu liefern. Deswegen werden die WWP-Mitarbeiter beim Anstecken ihres Lkw bei Bedarf eingeben können, dass sie nur einen kurzen Halt auf dem WWP-Gelände einlegen, etwa für eine Pause – und schnell wieder mit einem aufgetankten Lkw-Akku zum nächsten Westerwälder-Holzpellets-Kunden aufbrechen wollen. „Der Fahrer wählt am Panel lediglich ‚priorisiertes Laden‘ an, dann haut der Lader alles raus, was an Leistung da ist, also maximal 300 kW“, schildert Hoefer.

So ist der Ladecontainer nicht nur außergewöhnlich kräftig beim Befüllen von Fahrzeug-Akkus, sondern erweitert in Zukunft die Funktionalität im gesamten Strom-Areal-Netz der WWP. Mehr noch: „Außerdem sind wir immer bestrebt, bei allem, was wir tun, maximale Effizienz herauszuholen. Wir wollen versuchen, auch das ein Pilotprojekt, die Photovoltaik, die auf das Dach der in Bau befindlichen Halle für unsere neue Hobel- und Keilzinkanlage kommen wird, direkt auf Gleichstromebene mit der Batterie und den Schnellladern zu verbinden“, erklärt der Fachmann. Klappe dies wie gewünscht, könne man womöglich einen Wirkungsgrad von bis zu 98 Prozent beim Laden von Elektrofahrzeugen mit dem eigenen Solarstrom herausholen, „also praktisch ohne nennenswerte Ladeverluste“, freut sich Florian Höfer.

Er ist überzeugt, dass das Modell im gesamten deutschen oder gar europäischen Stromnetz funktionieren kann und genutzt werden sollte: Wenn jeder Elektroautofahrer wie die WWP-Pellet-Lkw-Fahrer dem System sagt, zu welcher Zeit er mit dem Wagen beispielsweise wieder zur Arbeit starten möchte, kann mittels bidirektionalem Laden und einem Softwaresystem, wie es die WWP einsetzen wollen, jeder E-Pkw für viele, viele Stunden, die er ohnehin nur ungenutzt herumsteht, als stationärer Batteriespeicher dienen und so sogar das öffentliche Stromnetz stabilisieren helfen.

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„Wir beweisen, dass es funktioniert!“

Michael Weib (Foto) disponiert den Einsatz der Lkw, die Westerwälder Holzpellets ausliefern. Mit ihm sprach Uwe Schmalenbach über die Unterschiede, die die Nutzung von elektrischen Lastwagen für seine Arbeit bedeutet.

Wie ist das, wenn man plötzlich E-Lkw verwenden soll?
Das war erst einmal eine Umstellung nach 35 „Diesel-Jahren“ im Beruf. Aber wir haben uns ja vorher schon mit der Thematik beschäftigt, und auch dadurch, dass ich bereits E-Pkw gefahren bin, wusste ich um die eine oder andere Besonderheit.

Es kam zunächst nur ein Lkw in 2022, nicht wahr?
Ja, mit dem haben wir ab September letzten Jahres geübt.

Doch mit inzwischen sechs Lkw ist das ja mehr als ausprobieren: Der Winter kommt, es müssen die Wünsche vieler Menschen nach Eurem umweltfreundlichen Brennstoff erfüllt werden…
Die Tourenplanung ist mit den E-Lkw etwas intensiver, da man sich die eine oder andere Strecke genauer ansehen muss: Welche Route können wir fahren? Haben wir Ladestationen unterwegs? Haben wir die entsprechenden Ladekarten dafür? Denn es ist ja noch nicht so, dass man mit einer einzigen Karte überall laden könnte.

Wie löst ihr das?
Durch unsere Kollegen auf den Autos haben wir ein großes Netz ausfindig gemacht, wo wir entweder auf dem Weg zum Kunden einmal kurz nachladen oder eben auf dem Rückweg, wenn wir mal Richtung Rheinland müssen. Dann können wir zum Beispiel in Hennef oder Koblenz gute Standorte nutzen, so dass wir auch von den weiteren Strecken immer nach Hause gekommen sind.

Was ist noch anders zu früher?
Wenn der Lkw eine zweite Tour am selben Tag fahren soll, müssen wir nachdenken, wie lange er hier auf dem Gelände nachladen muss. Die Zeit müssen wir zusätzlich einplanen. Wir avisieren den Kunden jeden einzelnen Termin. Wenn wir elf Uhr sagen, dann warten die Menschen um elf auf uns – nicht um zehn nach elf.

Jetzt naht der Winter. Ändert sich da noch etwas?
Wir bekommen mobile Ladesäulen dazu, damit wir die Lkw in unserer Halle 5 laden können. Durch die niedrigeren Temperaturen nachts lädt der Akku nicht so viel wie sonst.

Wobei ihr ja bald den neuen Ladecontainer nutzen könnten, oder?
Ja, wenn der maximal lädt, ist der Lkw nach nur eineinhalb Stunden voll!

Sind weitere Schritte bei der Umstellung auf E-Mobilität geplant?
Wir bekommen noch einen weiteren elektrischen „Volvo“ – ich nehme an: Anfang nächsten Jahres. Dann nutzen wir sieben elektrische Lieferfahrzeuge. Wir hatten den Mut, diesen Schritt zu gehen und beweisen gerade, dass es zumindest im Verteilerverkehr funktioniert!

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„Wie soll das funktionieren?“

Maik Christ lacht immer noch lauthals los, wenn er an den Moment denkt: „Ja, ja elektrisch! Haha, erzähl‘ du mal!“, spottete er, als sein Chef Markus Mann zu ihm kam, um ihm zu signalisieren, dass sein Diesel-Lkw schon bald durch einen vollelektrisch angetriebenen abgelöst würde. „Wie soll das funktionieren?“, habe er ungläubig gefragt. „Wenn du über drei Jahrzehnte Diesel fährst und auf einmal heißt es, du sollst jetzt elektrisch fahren…“

Die Hinterachse des Aufliegers lenkt mit und macht den elektrischen Pellet-Laster trotz seiner Länge sehr wendig. Eine Rückfahrkamera gewährt einen guten Überblick.

Es war im Sommer vergangenen Jahres, als erstmals ein Lastwagen mit Elektroantrieb vom Hof der „Westerwälder Holzpellets“ (WWP) rollte, um den umweltfreundlichen Brennstoff ohne klimaschädliche Abgase aus einem Verbrennungsmotor zu WWP-Kunden zu transportieren (die „Wäller Energiezeitung“ berichtete). Hatten die ersten Wochen mit dem damals in Dienst gestellten „Designwerk Futuricum“ noch etwas Experimentelles, nutzt der Langenbacher Energielieferant inzwischen sechs vollelektrische LKW verschiedener Hersteller – ganz „normal“, Tag für Tag. Bald sollen sieben der zwölf Fahrzeuge der WWP-Lkw-Flotte elektrisch angetrieben sein.

Maik Christ ist ein cooler Typ, ein entsprechendes Tattoo am Bein weist ihn als glühenden Schalke-Fan aus, Kollegen wie Kunden schätzen seine Art. „Ja, einige vielleicht“, scherzt er. Doch dann erzählt er, ganz ernst, mehr von seinem Start in die berufliche Elektromobilität. Es sei, nach dem besagten Gespräch mit seinem Chef, eben doch der Tag gekommen, als sein neues Arbeitsgerät, strahlend weiß und mit Elektromotor, im April des Jahres auf dem Hof der WWP in Langenbach bei Kirburg stand. „Und heute will ich ihn nicht mehr abgeben!“, entfährt es ihm sofort, wenn er über den „Volvo FH Electric“ spricht.

Der darf, je nach Auflieger, ein Gesamtgewicht von bis zu 42 Tonnen aufweisen. Maik Christ überführte seinen Lkw selbst vom Händler in Ransbach-Baumbach bis nach Langenbach, „und habe dabei von Ransbach-Baumbach bis nach Langenbach auf den Hof gelacht“, berichtet er über den ersten Eindruck. Man habe plötzlich nichts mehr gehört, keine Fahr- und Antriebsgeräusche, allein den leise an der Sonnenblende über der Frontscheibe säuselnden Fahrtwind.

Der Fahrer mag die feine Dosierbarkeit der Kraft beim Rangieren.

„Jetzt habe ich mich daran gewöhnt, aber am Anfang war es für mich eine riesige Umstellung von den Geräuschen her – und ebenso von der Leistung!“ Denn den Auflieger, den Maik Christ mit seinem „Volvo“ durch die Gegend zieht, merke er nicht mehr. „Diese Autos haben eine solche Kraft… Wenn ich das mit meinem alten ‚Mercedes Actros‘ vergleiche, der zwar auch 480 PS hatte: Wenn ich den richtig vollgeladen hatte, kam manches Mal das Gefühl auf, ich komme die Berge nicht hoch.“ Das sei heute komplett anders: Die elektrischen 677 PS oder 498 Kilowatt (kW) Leistung ließen sich fahren, als wenn er nur mit der Sattelzugmaschine ohne Auflieger unterwegs sein würde.

Was aber selbstverständlich nicht stimmt, hinten im knapp 13 Meter langen Zug sind gerade 20 Tonnen Westerwälder Holzpellets eingeladen (maximal wären 23,5 zulässig in dieser Fahrzeugkonfiguration), von denen an der ersten Abladestelle in Hahn am See vier Tonnen schon erwartet werden.

„Ja klar: eine Einbahnstraße“, murmelt Christ, während er sich an diesem Herbstmorgen mit dem 2,55 Meter breiten Gefährt der Kundenadresse im Schritttempo nähert. Doch ganz routiniert und mühelos rollt er damit in die kleine Seitenstraße.

„Der Auflieger lenkt elektrohydraulisch mit“, erläutert er die Beweglichkeit des Sattelzugs. „Deswegen läuft der Auflieger immer sauber hinterher. Eine super Sache!“ Wenn es noch enger wird, erlaube eine Funkfernbedienung, zusätzlich die Lenkachse des Aufliegers von Hand zu steuern, fügt Christ an.

Doch jetzt muss er anhalten und aussteigen, um mit der Hauseigentümerin in Hahn am See den Keller ihres Einfamilienhauses in Augenschein zu nehmen und das dortige Pelletlager zu kontrollieren. In diesem Fall ist es ein Sacksilo, in das die Pellets eingeblasen werden sollen. Aus Rohren an seinem Auflieger holt der Fahrer je sieben Meter lange Schlauchstücke, schraubt sie zusammen und verbindet das Silo so mit dem Lkw.

Während die Holzpellets durch den Schlauch zu rasseln begonnen haben, erklärt Maik Christ noch, dass der vorhin erwähnte Motor für das Lenken der Hinterachse durch zwei 24-Volt-Starterbatterien angetrieben werde, die auch die ganze Elektronik des „Volvo“ versorgen. Verlieren die an Ladung, werden sie von den Fahrzeug-Akkus, die zusammen eine große Kapazität von 540 Kilowattstunden aufweisen, wieder aufgeladen. „Auch der Nebenantrieb für den Kompressor, mit dem jetzt gerade die Pellets eingeblasen werden, wird aus diesen Akkus versorgt.“ Aus diesem Grund habe der elektrische Lkw im Alltag nie die Reichweite, die er, mit vollen Akkus, am Morgen auf dem Display zeige, „eben weil wir unterwegs einige Kilowattstunden dazu benutzen, die Pellets einzublasen.“ Doch dafür rattere vor dem Haus der Kunden kein Abgase ausströmender Dieselmotor mehr.

Die vier Tonnen in Hahn am See sind inzwischen im Lager der Kundin, die vor der Abfahrt von Maik Christ noch schildert, dass sie bei einer früheren Bestellung aus einer anderen Quelle „etwas günstigere“ Pellets geordert habe. Die seien, wie sich hernach herausstellte, aber von minderer Qualität gewesen, die Heizung war gestört. „Da habe ich gelernt“, betont die Frau, und seither bestelle sie ausschließlich WWP.

„1991 hab‘ ich bei der Spedition MANN angefangen, war fünf Jahre da. Danach war ich 20 Jahre im Fernverkehr unterwegs“, sagt Maik Christ auf dem Weg zur nächsten Abladestelle in Herschbach. „Wie das halt so ist so als junger Kerl: man will die Welt sehen. Schweden, Schweiz, Spanien, Benelux – das ganze Programm. Deswegen habe ich bei der Spedition MANN gekündigt“, lacht er.

Er heuerte bei einer anderen Firma im Westerwald an, die für den Lkw-Hersteller Scania Neufahrzeuge auf Spezialtiefladern beförderte und europaweit verteilte. „Das war eine schöne Arbeit. Doch man wird älter, zwischenzeitlich sind Beziehungen durch das ständige Wegsein kaputtgegangen – da habe ich zu mir gesagt: ‚Pass mal auf, Maik, das hast du nun lange genug gemacht, jetzt gehst du wieder in den Nahverkehr.‘“

Den Brennstoff im Westerwald vollelektrisch auszuliefern, ist Alltag bei den WWP.

Gesagt, getan, er erinnerte sich an Speditionschef Thomas Mann, Bruder des WWP-Inhabers Markus Mann, schrieb ihn über „Facebook“ an: „Sucht Ihr noch Fahrer?“ Kurz darauf saß er für drei Monate wieder für die Spedition MANN hinter dem Steuer. Allerdings kam es vor, dass er dabei doch wieder weiter als gewünscht von zu Hause weg war – deswegen wechselte der Westerwälder zu Thomas Manns Bruder Markus und seinen „Westerwälder Holzpellets“ (WWP). „Und nun bin ich da acht Jahre – wie die Zeit vergeht!“

Anfangs hat Maik Christ dort Sägemehl für die Pelletproduktion geholt, anschließend Palettenware ausgefahren, also Westerwälder Holzpellets in Säcken. Doch bald kam sein neuer Chef zu ihm: „Du wärest auch der richtige Fahrer für ein Silo-Auto.“ Er ließ sich zeigen, was dabei gefordert ist, „jetzt mache ich das ebenfalls schon wieder seit viereinhalb Jahren.“

Maik Christ, das zeigt dieser Blick auf dessen Lebenslauf, ist also einer, der sich im Güterkraftverkehr wirklich auskennt, langjährige Erfahrung von Hunderttausenden Kilometern mitbringt. Dem elektrischen Antrieb kann der Routinier – betrachtet er neben der klimaschonenden Auswirkung der Lkw-Elektromobilität deren Alltagstauglichkeit – viel Positives abgewinnen: „Das ist pure Kraft – wenn du sie brauchst. In die Ecken rein, rückwärts rangieren: das kannst du mit dem elektrischen zentimetergenau machen! Ein Verbrenner, der fängt schon mal an zu springen wegen seiner Kupplung. Hierbei kannst du so fein dosieren alles an Kraft – das macht Spaß!“, urteilt der Kenner.

Ein automatisches Zwölfganggetriebe verteile die Kraft des „Volvo FH“. „Ich habe hier im Grunde das gleich drin, wie im Verbrenner. Aber man muss schon aufs Display gucken, um zu merken: jetzt bin ich im zehnten.“ Man spüre nicht, freut sich Christ, wenn der elektrische Lkw schalte. „Durch das enorm hohe Drehmoment des elektrischen Antriebs“, so der Fachmann. „Du kommst abends auch irgendwie entspannter nach Hause. Das ist wirklich so. Das Fahren ist ausgeglichener.“

Vielleicht liegt das unter anderem daran, dass Maik Christ, nach all den Jahren Diesel-Erfahrung, seine Fahrweise angepasst hat: Kommt er beispielsweise auf eine rote Ampel zu, gehe er eher vom „Gas“, denn dann rekuperiert der „Volvo FH“, die Bewegungsenergie wird also umgewandelt und als elektrische wieder in die Batterie eingeladen, während der Lkw dabei langsamer wird, ohne die Bremse zu betätigen. „Man fährt deswegen vorausschauender“, meint der WWP-Mitarbeiter. „Das mit den elektrischen Lkw, das ist schon geil! Eine tolle Technik, die mich verblüfft.“

Bis zu 300 Kilometer Reichweite bietet so ein Fahrzeug. Mit einem entsprechend starken Gleichstrom-Lader kann er in zwei Stunden wieder voll sein – die Nacht bis zum nächsten Arbeitsbeginn reicht also immer „dicke.“

„Klar: Wir mussten zunächst ja alle lernen“, unterstreicht Maik Christ auf dem Weg nach Herschbach, wo zehn Tonnen Westerwälder Holzpellets gewünscht sind. „Der Disponent, der Fahrer, wir mussten am Anfang besonders viel miteinander sprechen, schauen, was verbraucht man an Strom auf welcher Strecke? Wo laden wir unterwegs nach, wenn es, aufgrund einer weiter entfernten Abladestelle wie zum Beispiel dem WWP-Pelletheizhaus bei den Stadtwerken Düsseldorf (die „Wäller Energiezeitung“ berichtete), einmal nötig wird?“

Auch der Nebenantrieb für den Kompressor, der die Pellets mittels Überdruck aus dem Siloauflieger befördert, bekommt seine Energie aus den Lkw-Akkus.

Das Wichtigste dabei sei der Platz, so der Fachmann, um sein Gefährt an einer Ladesäule sicher abstellen zu können, das eben erheblich größere Ausmaße hat als ein E-Pkw. „Deswegen funktionieren viele Ladepunkte für Pkw nicht.“ Lasse es sich nicht anders bewerkstelligen, sei er allerdings schon an räumlich beengteren Ladesäulen gewesen. „Dann habe ich vorher abgesattelt (Anm. d. Red.: den Auflieger zuvor von der Zugmaschine getrennt abgestellt), das ist ja auch kein Problem.“

Nicht selten produziere sein hochmodernes Arbeitsgerät Erstaunen. Mancher Pkw-Fahrer habe ihn, während Maik Christ seinen „Volvo“ an eine öffentliche Ladesäule gehängt hatte, schon gefragt, ob er nicht gefälligst anderswo Pause machen könne… „Und die bemerken plötzlich: da ist ja ein Kabel drin!“, schmunzelt Maik Christ. „Wie, der fährt elektrisch?“ Diesen Satz höre er in solchen Momenten vielfach. Es gebe etliche Zeitgenossen, denen noch überhaupt nicht klar sei, dass Lastkraftwagen ebenfalls längst komplett elektrisch mit Grünstrom unterwegs sein können. „Was meinst du, was manches Mal für Menschentrauben um mich herumstehen!“, fügt der Westerwälder hinzu. „Die fotografieren, fragen nach vielen Details, haben das noch nie gesehen, wie ein Lkw an der Ladesäule steht.“

In der Regel aber wird der WWP-Sattelschlepper an eigenen Ladesäulen des Energielieferanten in Langenbach bei Kirburg geladen (siehe Seite 7). „Normalerweise reicht eine Akkuladung für einen ganzen Arbeitstag, an dem ich Pellets ausliefere.“ Im Schnitt steuere er drei, vier Kunden an, „ganz normal, wie beim Diesel.“

Bei einem dieser Kunden, dem Zehn-Tonnen-Besteller in Herschbach, ist Maik Christ nun angekommen. Wieder inspiziert er, was zur Qualitätssicherung der hohen „ENplus“-Norm der Westerwälder Holzpellets zwingend ist, zunächst das Pelletlager, montiert Schläuche für das Einblasen und startet den Vorgang. Der Immobilienbesitzer guckt neugierig, mit welchem ihm neuen Fahrzeug der WWP-Mitarbeiter da vorgefahren ist und nutzt die Dauer des Einblasens für einige Fragen dazu.

„Ich find‘ das so genial“, freut Maik Christ sich, nachdem die Lieferung in Herschbach ebenfalls erledigt, er mittlerweile auf dem kurzen Weg zum dritten Kunden in Dierdorf ist, „man hört echt nur noch den Wind an den Außenspiegeln.“ Nochmal zurück auf einen Lkw mit Dieselantrieb? „Nee, das wollte ich jetzt nicht mehr“, schüttelt der sympathische Fahrer entschlossen den Kopf. Privat ist der erfahrene Lkw-Lenker inzwischen ebenfalls nur noch elektrisch unterwegs, in einem „BMW I3“. Mit dem, sagt er zum Schluss noch, sei er schon im Urlaub in Österreich gewesen.

Uwe Schmalenbach

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Buntes Symbol einer neuen Projektidee

Grün also. Jörg Thielmann hat sich für eine der vielen bereitstehenden Farben entschieden – und pinselt sich damit erst einmal üppig die rechte Hand ein. Wie viele Mitarbeiter der „Westerwälder Holzpellets“ (WWP) und von „MANN Naturenergie“ beteiligt er sich, so vorbereitet, am Rande des des diesjährigen Sommerfestes daran, ein besonderes Kunstwerk entstehen zu lassen, das die Belegschaft der Westerwälder Unternehmen ihrem Chef Markus Mann schenken möchte und das einen bemerkenswerten Hintergrund hat.

Das Bild im Eingangsbereich von „MANN NATURENERGIE”.

Die „farbige Szene“ liegt nun schon ein paar Wochen zurück, und nun hat das Ergebnis der „künstlerischen Arbeit“ von Thielmann und Kollegen seinen würdigen Platz im Foyer des Verwaltungsgebäudes von „MANN Naturenergie“ und WWP gefunden: Entstanden ist ein Bild auf Leinwand, auf dem sich viele Betriebsangehörige mit einem bunten Handabdruck verewigt haben. Die zugehörigen Namen stehen daneben.

Die Idee zum Objekt entstand, als Firmenchef Markus Mann und sein Prokurist Daniel Rahn im Sommer 2019 „Schmidt Leisten“ in Dickendorf besuchten. Denn zukünftig würden die Langenbacher gerne für dieses ebenfalls regional verhaftete Unternehmen arbeiten wollen – und für Schmidt eben genau solche Leisten herstellen und liefern wollen, wie sie nun von dort gekommen und benutzt worden sind, um einen Bilderrahmen für die Handabdrücke auf dem Sommerfest zusammenzubauen!

Denn in den bevorstehenden Monaten entstehen am WWP-Firmensitz in Langenbach ein neues Hobelwerk und eine Keilzinkanlage. Damit kann die Veredelungstiefe der im WWP-Sägewerk aus Rundholz gefertigten Produkte weiter erhöht werden.

Das Handabdrücke-Bild ist somit in gewisser Weise nicht nur ein Dankeschön der MANN- und WWP-Leute an ihren Chef, sondern zugleich ein herrlich buntes Symbol für die neue Projektidee.

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„Bewundernswert, was hier alles passiert“

Die Pelletheizung von Familie Velten wird in diesen Tagen gerade erst eingebaut. Sie löst eine alte Ölfeuerung ab. Derweil sind Veltens zum Besuchertag von „MANN Naturenergie“ und den „Westerwälder Holzpellets“ (WWP) nach Langenbach bei Kirburg gefahren: „Wir wollten mal gucken, wo die Dinger herkommen und wie die Pellets für so eine Heizung entstehen“, erzählt das Ehepaar aus Montabaur. „Richtig interessant“ sei deswegen die beim Besuchertag angebotene Betriebsführung, findet Frau Velten.

Auffallend viele Besucher nutzen die Gelegenheit, bei einer der stündlich startenden Betriebsführungen dabei zu sein.

„Wie lang darf das Holz sein, das Sie sägen können?“ „Wie viele Bretter haben Sie abends zusammen?“ „Wie oft wechseln Sie das Sägeblatt?“ „Wie wird im Kraftwerk aus Dampf Strom?“ „Wie viele Pellets werden in einem Jahr gepresst?“ Die Teilnehmer der Rundgänge entlang der Rundholzsortierung, ins SEO-Sägewerk, zu den Pelletpressen oder dem Großspeicher sind wirklich ausgesprochen interessiert, nutzen das breite Informationsangebot ausgiebig und diskutieren mit dem jeweiligen Führer zudem viele Fragen, die sie unmittelbar selbst „im Kleinen“ betreffen, doch ebenso globale Aspekte der Energieversorgung.

Manches wissen die Besucher bereits, anderes überrascht sie. „Für wie viele Jahre Holz lagert hier?“, möchte zum Beispiel eine Frau wissen, während sie mit einer der Gruppen über den Rundholzplatz läuft, auf dem Abschnitte von Baumstämmen, nach Größen sortiert, zu Poltern aufgestapelt worden sind. Die Antwort erstaunt die Fragestellerin dann doch: „Der Vorrat hier reicht nur für acht Tage“, erläutert Jan-Philipp Alhäuser schmunzelnd und deutet auf die mächtigen Holzstöße.

Die Drexlerei Robert Manns anno 1910, das kleine Fuhrunternehmen von Emil Mann, gegründet 1925, die erste rheinland-pfälzische Windkraftanlage, die in Langenbach 1991 aufgestellt wurde, die erste großtechnische Pelletproduktion der Republik 2001: „Wir haben uns immer wieder angepasst“, schildert Daniel Rahn, der ebenfalls während des Besuchertags mit Gruppen auf dem Firmengelände unterwegs ist und währenddessen diese sowie andere Entwicklungsschritte von MANN und WWP skizziert.

„Julia“ zieht unermüdlich Gäste über das Firmengelände.

Schnell wird den Besuchern klar: Der Wandel gehört in Langenbach zum Alltag, ist quasi selbst dann in vollem Gang, während Rahn ihnen die Späne zu Pellets formenden Matrizen erklärt, sie einen Blick in den Bandtrockner werfen lässt oder ihnen die Arbeitsweise der Holzbagger zeigt, die 120.000 Festmeter im Jahr befördern müssen. „Damit man eine etwas greifbarere Vorstellung hat: Das sind 15 bis 20 Holz-Lkw jeden Tag“, verdeutlicht Rahn, der Prokurist und Projektingenieur bei dem Westerwälder Unternehmen ist.

Die Pläne zu zukünftigen Vorhaben des Energieversorgers in Langenbach sprechen die Menschen sehr an, die zum Besuchertag gekommen sind. Ein neues Hobelwerk werde als nächstes gebaut, verrät Daniel Rahn ihnen, zudem eine Keilzinkanlage: die zugehörige Baugrube ist auf dem Rundgang bereits auszumachen. Ebenfalls zeigen Farbmarkierungen auf dem Boden, wo neben die vorhandene Sägelinie in den nächsten Monaten eine zweite mit einer Bandsäge gebaut werden wird: „Die haben wir deswegen gekauft, um zukünftig flexibler zu sein.“, sagt Daniel Rahn und nimmt die Besucher nicht nur räumlich mit zur nächsten Station, sondern gedanklich weiter in die Zukunft des Unternehmens, in dem er tätig ist. „Die neue Säge schafft sogar Meter-Stämme – da werden wir ganz wenige hierher bekommen, aber bis zu einem Meter Durchmesser kann man mit der Blockbandsäge aufschneiden und aus den Bohlen Bretter machen“, beschreibt der Projektingenieur. „Das hat den Hintergrund, dass wir offen sein wollen für unsere Lieferanten: Der Förster oder Waldbesitzer muss dann nicht schwer im Wald sortieren. Wir wollen ihm sagen können: ‚Liefer uns alles an, ganz egal, wir sortieren uns das hier.‘“

Die WWP sind ein stromintensives Unternehmen, das wird gleichermaßen deutlich auf dem Rundgang; am meisten Energie benötigen die Pelletpressen. Selbst bei der Herstellung dieses umweltfreundlichen Brennstoffs gibt es sogenannte „Veredelungsverluste“, sie betragen zwei Prozent. Bei Öl und Gas hingegen liegen diese Einbußen mit zehn bis zwölf Prozent deutlich höher. „Wir brauchen viel Strom“, bestätigt Daniel Rahn, „der gesamte Standort in Langenbach hat im Jahr einen Bedarf von neun Millionen Kilowattstunden (kWh).“ Die Führungsteilnehmer erfahren, dass das eigene Biomasse-Kraftwerk davon fünf Millionen liefere. 1.000 Kilowatt (kW) Leistung kommen laut Rahn zusätzlich aus den zahlreichen Photovoltaikanlagen auf Hallendächern oder an den Pelletsilos und noch einmal 2.500 kW Leistung stammen aus Windstrom.

Das Ehepaar Velten bekommt gerade eine neue Pelletheizung – und sieht sich in Langenbach an, wie der Brennstoff dafür hergestellt wird. Fotos: Schmalenbach

Auch Malms nutzen Strom aus Langenbach. „Wir sind hier Strom-Kunde, schon seit bestimmt 15 Jahren“, schildert das Ehepaar. „Sehr zufrieden“ sei es mit seinem Stromversorger MANN: „Die sind immer ansprechbar hier, man ruft an, hat gleich jemanden an der Strippe, und der kümmert sich auch.“ Für das Paar aus der Verbandsgemeinde Wallmerod sei es „auf jeden Fall“ sehr wichtig, selbst nur Ökostrom zu nutzen. „Es geht uns ums Klima und die Natur“, betonen Malms, „wir haben selbst eine PV-Anlage auf dem Dach.“ Die beiden sind zum ersten Mal auf einem Besuchertag in Langenbach und finden ihn „sehr interessant“.

Die häufigste am dort aufgebauten Stand der Abteilung E-Mobilität angesprochene Thematik sei die Frage nach bidirektionalem Laden, berichtet Markus Langenbach, der die technische Leitung des „E-Mob-Teams“ bei „MANN Naturenergie“ inne hat. „Ob wir Wallboxen anbieten, die bidirektionales Laden können, wann die Politik bei dem Thema ‚aus dem Quark kommt‘ – diese Punkte beschäftigen die meisten Besucher, die heute an unserem Stand gewesen sind. Etliche haben sich dafür interessiert, wie es technisch funktioniere, Lkw zu laden oder wo der Unterschied beim Laden eines Lkw und eines Pkw liegt. Und einige“, schmunzelt Markus Langenbach, „wollen wissen, wie hoch der Stromtarif ist – sie können ja nicht erkennen, dass ich in dem Bereich nicht tätig bin. Diese Besucher bringe ich dann rüber zum Volker und zur Sema.“

Volker und Sema, das sind Langenbachs Kollegen Volker Schmidt und Sema Dercin. Die beiden MANN-Mitarbeiter haben ebenfalls einen eigenen Stand. Er befindet sich in der „Halle 1“, in der auch die historische Werkstatt untergebracht ist, die am Besuchertag natürlich durchgängig in Betrieb und dampfgetrieben ist.

„Bei uns war ein Hauptthema heute die Frage von Bestandskunden nach der künftigen Entwicklung des Strompreises“, führt Sema Dercin aus, was für Anliegen an sie und Schmidt herangetragen worden seien. „Hier haben wir die gute Nachricht, dass die Tendenz in Richtung einer Preisminderung in 2024 zeigt“, so die Fachfrau. Ebenso seien etliche Menschen an ihrem Stand gewesen, die bislang ihren Strom von einem Großversorger beziehen „und weniger wegen des Preises, sondern wegen der begleitenden Dienstleistung unzufrieden sind und über einen Wechsel zu uns nachdenken. Es störe sie demnach, dass sie nicht ihre konkreten Ansprechpartner haben, anonym im Callcenter landen. Und einige unserer Bestandskunden, die vorher schon einmal mit uns telefoniert haben, fanden es einfach schön, heute unsere Gesichter ‚live‘ zu sehen“, zwinkert Dercin. Es sei vielen „MANN Strom“-Kunden offenbar wichtig, dass das Persönliche erhalten geblieben ist und nicht „outgesourced“ werde. „Ganz viele Menschen sagen uns, dass sie so froh seien, uns als ihre festen Gesprächspartner zu haben, mit denen man reden kann – manches Mal sogar über Sorgen des Alltags, die nicht unbedingt mit Strom zu tun haben.“

Draußen, nicht weit von der „Halle 1“ entfernt, bestaunt Matteo unterdessen mit großen Augen die Umstapelanlage, bei der ein rotierender Besen unaufhörlich automatisch Zwischenleisten aus Bretterstapeln fegt. Als nächstes allerdings möchte der Dreijährige aber erst einmal eine Runde mit „Julia“ drehen, jener 18 Tonnen schweren Dampfmaschine aus dem Jahr 1924, die laut schnaufend den ganzen Besuchertag hindurch über das Firmengelände rumpelt. Vater Dennis und Mutter Jeannette Pauschert steigen mit ihrem Sohn gerne zu.

„Wir sind heute dabei, weil wir den Betrieb näher kennenlernen möchten, schauen wollen, was es hier an Neuerungen gibt – und einfach einen schönen Tag haben“, verdeutlicht Vater Dennis. Seine Familie sei vor Jahren zwar schon einmal bei einem „Tag der offenen Tür“ von MANN und WWP gewesen, „aber es sind ja viele Dinge neu hinzugekommen. Und für den Kleinen ist das hier ohnehin interessant.“ Ein schriller Pfiff, ein kleiner Ruck – und „Julia“ fährt mit Dennis, Jeanette und Matteo Pauschert davon.

Zum Ende des gelungenen Besuchertags sinkt die Sonne allmählich hinter den Elektro-LKW der WWP zum Horizont hinab.

„Ich bekomme von denen meinen Pellets“, sagt Martin Demuth zur Begründung, warum auch er sich auf den Weg nach Langenbach gemacht hat, um erstmals beim „Besuchertag“ dabei zu sein. „Super“ sei er mit dem Heizen mit Westerwälder Holzpellets zufrieden, erklärt der Interessierte aus Roßbach, „wegen der Qualität. Und ich hätte nicht gedacht, dass so viel Innovation in dem ganzen Betrieb hier liegt“, ergänzt der Roßbacher während einer der Betriebsführungen. „Ich finde auch die E-Lkw, mit denen Pellets jetzt geliefert werden, super. Das ist wirklich bewundernswert, was hier alles passiert.“

Uwe Schmalenbach

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Projekte gesucht

Viel momentan ungenutzter Platz: Die „Wäller Energie eG“ möchte diese Kranstellfläche an ihrem 3,2-Megawatt-Windrad auf der Friedewälder Höhe verwenden, um darauf Photovoltaik-Module zu installieren. Das ist ihr derzeit einziges konkretes Vorhaben.

Dabei: In den drei im Westerwald aktiven Bürgerenergie-Gruppierungen „Wäller Energie eG“, AEKS und „maxwäll Energie-Genossenschaft“ beteiligen sich schon gut 1.000 Wäller – aber noch mehr Bürger der Region würden gerne mitmachen! Und so mithelfen, die Energieversorgung in ihrer Heimat ökologisch und mit größerer Bürgerbeteiligung umzubauen. Es existieren sogar Wartelisten von Menschen, die in eine der Genossenschaften eintreten wollen. Warum aber gibt es dann nicht mehr entsprechende Projekte?

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Hier ist selbst der Motorenlärm „elektrisch“

Der Sound täuscht: Wenn Mitarbeiter der „ring°kartbahn“ am Nürburgring den Drehschalter an der linken Seite der schwarzen Gokarts betätigen und die Vehikel dadurch abfahrbereit machen, „blubbert“ Motoren- Lärm los. Der allerdings wird lediglich elektronisch erzeugt, denn die Karts werden von zwei Permanentmagnet-Motoren angetrieben, mithin vollelektrisch. Deswegen ist es auch kein Widerspruch, dass die grundsätzlich auf Umweltschutz bedachten Schwesterfirmen „MANN Energie“ und „Westerwälder Holzpellets“ (WWP) ihr Teamevent in der Hocheifel auf der Kartbahn ausklingen lassen.

Etwa 25 Sekunden dauert es, bis ein (schneller) Fahrer den Rundkurs der „ring°kartbahn“ zurückgelegt hat.

Sechs Kurven rechts-, vier Kurven linksherum; insgesamt ist die Strecke 400 Meter lang, die Gerade misst 80. Dort können die Karts durchaus 50 „Sachen“ erreichen. Neun PS haben sie dazu „unter der Haube“, je nach gefahrener Geschwindigkeit müssen die Fahrzeuge nach 30 bis 45 Minuten wieder an ihr Ladekabel, ehe der Akku komplett leer ist. Bereits vor elf Jahren wurden die ersten Elektro-Karts auf der „ring°kartbahn“ in Betrieb genommen. Nach Theorie, Praxis und einigen schwierigen Aufgaben am Steuer im nicht weit entfernten „Fahrsicherheitszentrum am Nürburgring“ (siehe „Auslöser aller Probleme ist die Geschwindigkeit “) geht es für die beim Westerwälder Energieversorger Tätigen hier nur um die Freude, gemeinsam ein paar Runden zu drehen.

Schnell sind alle im „Rennfieber“. Nach einer Einweisung dürfen sie auf den Rundkurs. Jeder kann einen Trainingslauf absolvieren, danach wird die Zeit in einer Qualifikationsrunde gespeichert, und die Fahrer werden nach den gemessenen Zeiten in homogene Renngruppen aufgeteilt. So entstehen vier Gruppen, alle fahren abschließend ein Rennen. Jede dieser drei „Sessions“ dauert zehn Minuten. Sind die verstrichen, schwenkt ein Streckenposten eine rote Fahne. Die steht für „Session beendet“, zurück in die Boxengasse, wo die E-Karts sofort wieder an von der Decke herabhängende Ladekabel angeschlossen werden.

Die rote Fahne zeigt das Ende einer Session an.

Laden anstelle zu tanken ist für die aus dem Westerwald zur Rennbahn Gereisten gleichwohl nichts Ungewöhnliches mehr. Denn die 26 Fahrzeuge, mit denen sie nach dem auf der Kartbahn für sie ausgerichteten Grand Prix in die Heimat zurück fahren, sind schließlich ebenso Elektromobile wie die kleinen Minirennwagen am Nürburgring.

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„Mit 33 ist die Sache erledigt“

Klaus ist einer der drei Instruktoren, die sich den ganzen Tag über ausgesprochen engagiert um die Besucher aus dem Westerwald kümmern. Mit ihm sprach Uwe Schmalenbach über die Ziele, die er mit seiner Arbeit verfolgt.

Mit bemerkenswerter Ausdauer und Geduld gibt Instruktor Klaus den Fahrern Hinweise per Funk. Fotos: Schmalenbach

Am Ende geht es doch bei allen Übungen heute im Grunde um eine Erkenntnis: Die Fahrphysik hat trotz aller elektronischen Helfer immer noch ihre Grenzen, weil die Haftung auf der Fahrbahn endlich ist und Seitenführungskräfte immer in Konkurrenz zu anderen Kräften stehen. Das hat sich, trotz aller Assistenzsysteme, noch immer nicht geändert und ist im Grunde wie einst beim VW „Käfer“, richtig?

Als wir beide früher Autofahren lernten, waren das völlig „nackte“ Fahrzeuge. Wir mussten noch ein gutes Gefühl im rechten Fuß haben. Wenn du ein gebremstes Ausweichen fahren wolltest, musstest du natürlich die Bremse lösen, um lenken zu können. Das ist heute dank ABS anders – ein riesiger Vorteil. Ich kann maximal auf der Bremse verzögern, das Auto bleibt – ich sage bewusst: bedingt – lenkbar. Aber wenn ich das Auto „überlenke“ auf der Bremse, muss das ABS erst einmal ein Stück die Bremsleistung zurücknehmen, um das Lenken zu ermöglichen. Und das wird nachher bei einer Übung noch eine spannende Geschichte werden, zumal wir auf einer Fläche unterwegs sein werden, die noch etwa zehn Prozent Haftung aufweist, was in etwa einer festgefahrenen Schneedecke nahekommt.

Du hast vergangene Zeiten angesprochen. Da lernte man im Sicherheitstraining noch, dass es beim Ausbrechen des Autos hilfreich ist, auszukuppeln. Das geht mit Elektroautos nicht mehr. Gibt es sonst sicherheitsrelevante Unterschiede zwischen „klassischem“ Pkw und einem E-Mobil?

Natürlich kann es unter Umständen hilfreich sein, wenn ich auskuppele. Dann habe ich das Schleppmoment des Motors ein Stück weit ausgeschaltet.

Also ist ein Elektroauto hier im Nachteil, weil das nicht geht?

Im Automatiksektor haben wir ebenso keine Möglichkeit, auszukuppeln! Aber die Teilnehmer heute sind mit ihren Elektroautos auch ohne Kupplung in der Lage, ein Fahrzeug abzufangen. Ohnehin haben die meisten Autofahrer nicht auf dem Schirm, was man alles beachten kann in Extremsituationen. Du darfst eines nicht vergessen: es sind Wimpernschläge an Zeit, in denen sich ein Über- oder Untersteuern ankündigt. Ob ein Fahrer da noch ans Auskuppeln denkt… Er wird wahrscheinlich damit beschäftigt sein, an der Lenkung zu arbeiten. Dabei wäre, im Schaltwagen wie dem Elektroauto, aber ein Tipp wichtig: Immer dahin schauen, wo ich hinfahren will. Der Hintergrund ist, ich lenke auch dahin, wo ich hingucke!

Der erfahrene Ausbilder wünscht sich, dass auch Fahrer modernster E-Autos berücksichtigen, dass die Grenzen der Physik selbst von den besten Assistenzsystemen nicht überschritten werden können.

Wie bist du persönlich eigentlich zum Fahrsicherheitstraining gekommen – du bist schon länger als zwei Jahrzehnte dabei, richtig?

Ja. Ich habe in jungen Jahren eine klassische Ausbildung als Kfz-Mechaniker absolviert, danach eine Meisterprüfung gemacht, war zehn Jahre in der Aus- und Weiterbildung für die DEKRA unterwegs (Anm. d. Red.: eine Sachverständigenorganisation im Bereich Prüfung und Zertifizierung, die auch die Pkw-Hauptuntersuchung anbietet). Dann hat meine jüngste Tochter eines Tages gesagt: „Mensch, Papa, mach‘ doch das, was du kannst: Autofahren! Da oben am ‚Nürburgring‘ ist doch so ein Zentrum – vielleicht suchen die jemanden.“

Was passierte dann?

Ich habe die Anregung meiner Tochter tatsächlich aufgegriffen, bin hier vorbeigefahren, das Fahrsicherheitszentrum lag auf meinem Nachhauseweg. Ich habe gefragt, ob sie Bedarf an Personal hätten. Zufällig war es ein Zeitpunkt, zu dem die Antwort „ja“ lautete! Ich habe eine Bewerbungsmappe abgegeben, und nachdem die gut ankam, wurde ich, mit zehn anderen Bewerbern, darunter einige aus dem professionellen Rallyesport, zu einer Sichtung eingeladen. Ich konnte mich durchsetzen und habe hier so meine Ausbildung machen können.

Was ist dein Ziel heute, was sollen die Teilnehmer von „Westerwälder Holzpellets“ (WWP) und „MANN Naturenergie“ am Abend an Erkenntnis mit in den Westerwald mitnehmen?

Die Teilnehmer sollten aus meiner Sicht zwei Dinge mit nach Hause nehmen: Erstens „Der Tag hat mir Spaß gemacht“. Und ich bin zufrieden, wenn sie zweitens außerdem mitnehmen, wie wichtig der Faktor Reifen sowie die Geschwindigkeit ist – wir haben das gesehen (Anm. d. Red.: siehe „Auslöser aller Probleme ist die Geschwindigkeit“): 30 in der Kurve gehen, mit 33 ist die Sache erledigt.

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Auslöser aller Probleme ist die Geschwindigkeit

„Wir machen das hier heute alles in einem motorsportlichen Du – einverstanden?“ Nicken ringsum. Bei der morgendlichen Begrüßung und Einweisung aller Teilnehmer im „Fahrsicherheitszentrum am Nürburgring“ signalisiert Instruktor Klaus bereits: das wird – wenngleich ebenso etwas gelernt werden soll – ein lockerer, vergnüglicher Tag. 30 Mitarbeiter von „MANN Naturenergie“ und den „Westerwälder Holzpellets“ (WWP) sind zu diesem Teamevent frühmorgens mit 26 vollelektrischen Pkw vom Westerwald aus in die Hocheifel gestartet.

Mit dem E-„Volvo“ sind der „smart“ und ein älterer „I3“ zur Rennstrecke gebracht worden – ebenfalls vollelektrisch. Foto: Demirel

Wobei: Nicht alle haben ihre Autos selbst bis zur berühmten Rennstrecke gesteuert. Ein zur inzwischen auf 45 E-Mobile angewachsenen Flotte elektrischer Firmenfahrzeuge gehörender „smart fortwo passion ed“ ist eigentlich nur für „Fahrten um den eigenen Kirchturm“ konstruiert und angeschafft worden. Und damit dessen vergleichsweise kleine Batterie im Fahrsicherheitszentrum noch genug „Saft“ für die dort zu absolvierenden Übungen hat, wird er, zusammen mit einem in die Jahre gekommenen BMW I3, „huckepack“ auf einem Tieflader zum Nürburgring geschafft. Der Tieflader wird dabei jedoch vom elektrischen „Volvo“ der WWP gezogen – der sonst Pellets ausliefert und ebenfalls mit 100 Prozent Ökostrom „getankt“ wird (die „Wäller Energiezeitung“ berichtete).

„Genau darum geht es uns ja“, erklärt Markus Mann später bei der Mittagspause zwischen verschiedenen Parcours, die er und die anderen Teilnehmer in den E-Autos absolvieren müssen: „Wir wollten den Fußabdruck unserer Mitarbeiter bei MANN und WWP mit den Elektro-Wagen reduzieren. Unsere Pellets zum Beispiel haben eine Bilanz von weniger als elf Kilogramm CO2 pro Tonne. Dadurch, dass unsere MANNschaft klimaneutral zum Arbeitsplatz und wieder nach Hause fährt, verbessert sich die Gesamtbilanz natürlich zusätzlich. Aber wir möchten auch, dass alle heile ankommen in einem immer komplizierteren Straßenverkehr. Darum sind wir heute hier, der Tag ist für die Mitmachenden selbstverständlich kostenlos. Na, und Spaß haben wollen wir auch zusammen!“, lacht Mann.

Wie schnell es im Fahrsicherheitszentrum wirklich „richtig spaßig“ wird, hatten die in drei Gruppen aufgeteilten Teilnehmer gewiss nicht von Anfang an erwartet. Instruktor Klaus führt seine „Gruppe 3“ zu einem auf den ersten Blick „normal“ aussehenden „Skoda“. Doch der ist ein besonderes Auto: Er kann nur gefahren werden, wenn vorne und hinten je zwei Personen Platz nehmen – und richtig gut zusammenarbeiten! Denn der eigentliche Fahrer bedient lediglich Lenkrad und Schaltung. Ein Mitfahrer kuppelt, ein anderer gibt Gas, der vierte bremst. Und selbstverständlich geht es nicht allein darum, vom Fleck zu kommen! Vielmehr muss ein Slalom-Parcours absolviert werden, das ganze gleich zweimal mit vertauschten Rollen und außerdem auf Zeit…

So, wie auch auf der Straße aus Spaß unerwartet schnell Ernst werden kann, ist anschließend volle Konzentration beim Kurvenfahren auf einem rutschigen Untergrund gefragt, der im realen Leben etwa plötzlich hinter der nächsten Kurve im Wald auftauchen könnte.

„Die Lenktechnik ist entscheidend; wir versuchen immer, mit der kurvenäußeren Hand zu schieben, nicht reinzugreifen, nicht an der Lenkung zu reißen, sondern wirklich gefühlvoll schieben anstatt zu ziehen“: Während des ganzen Tages leitet Instruktor Klaus, ebenso wie seine beiden Kollegen Alex und Hubert, die ihrerseits je eine Teilnehmergruppe betreuen, die WWP- und MANN-Mitarbeiter über ein Funkgerät an, das jeder in sein Elektroauto bekommen hat. „Die Blicktechnik ist ebenfalls entscheidend beim Kurvenfahren“, knackst es da schon wieder aus dem Gerät, das Ramon und Patrick in ihrem gemeinsam genutzten Pkw dabei haben. „Schaut bitte immer dorthin, wo ihr hinfahren wollt!“, rät Klaus.

Auch zur richtigen Sitzposition informiert Instruktor Klaus.

Es geht um die Funktion des Stabilisierungsprogramms ESP in der Kurve, das alle modernen Autos haben, um die maximale Verzögerung, falls man das Auto doch einmal vor dem Kurvenausgang „verliere“ und viele Details mehr. Klaus ist ein super Typ, wie man so sagt, und vor allem ein geschickter Moderator (siehe auch Seite 7). So schafft er es, dass alle den ganzen Tag aufmerksam zuhören, konzentriert üben und weiterhin eine fröhliche Stimmung herrscht, obwohl es hier eben auch um Wissensvermittlung und einige Theorie geht.

„Wenn du den Leuten das so schilderst und du sagst: ‚Fährst du zwei schneller – dann bist du weg‘, dann siehst du, was in den Köpfen vorgeht: ‚Lass den alten Mann mal schwätzen – ich werde dem gleich mal zeigen, wo die Glocken hängen!‘“, schmunzelt Klaus. „Dann fährt er mit 30 rein, und bei 32 ist er draußen…“ Mit einer ihm eigenen, erfrischenden und kurzweiligen Art, verdeutlicht der Instruktor seiner Gruppe aus dem MANN-/WWP-Team, dass es auf der glatten Kreisbahn mit Bedacht zugehen sollte. Durch die sollen alle ihr Gefährt steuern – möglichst ohne nach außen getragen zu werden, wo im wahren Leben ein gefährliches Hindernis das jähe Ende der Fahrt bedeuten würde.

Und tatsächlich hat Klaus komplett Recht: 24,8 km/h, 27,1 km/h zeigt ein großes LED-Display in roten Ziffern die gefahrene Geschwindigkeit des jeweiligen Autos an – sehr langsam für unsere alltäglichen Verhältnisse also, und trotzdem geht es für einige schon bei diesem moderaten Tempo im wahrsten Wortsinn „rund“…

Obwohl insbesondere der zu weitesten Teilen in Rheinland-Pfalz liegende Mittelrhein bekanntlich von einem weltweit einmaligen Burgenreichtum gesäumt wird, ist die einst als „Noureburg“ errichtete Wehranlage etwas Besonderes, nämlich die mit 678 Metern höchstgelegene des Bundeslandes. Das auf einem Basaltkegel erbaute Bollwerk gab dem Ort Nürburg seinen Namen, mit dem Motorsportfans im In- und Ausland aber ganz gewiss vor allem eine beinahe 100-jährige Rennsportgeschichte verknüpfen. 1927 wurde der „Nürburgring“ unweit der Burg errichtet, seine legendäre „Nordschleife“ ist bis heute eine der anspruchsvollsten Rennstrecken weltweit.

Bei Klaus und seiner Gruppe geht es derweil aber gerade nicht um die Höchstgeschwindigkeiten auf dem dem Fahrsicherheitszentrum benachbarten Rundkurs – sondern ganz schlicht ums Sitzen. Sitzposition und Lenktechnik seien, so der Fachmann, für sicheres Fahren ebenfalls wichtig. „Die Hände gehören eigentlich auf die 3- und 9-Uhr-Position. Dann kann ich, ohne übergreifen zu müssen, immerhin schon einen halben Lenkeinschlag ausführen. Und ein absoluter Fauxpas ist es, ins Lenkrad hineinzugreifen!“, mahnt der Instruktor.

Das „übergreifende Lenken“ ist jedoch wenig später beim Schleudersimulator notwendig. Mit 40 km/h fahren die Teilnehmer auf eine nasse Fläche, die die rutschigen Eigenschaften festgefahrenen Schnees aufweist. An ihrem Beginn sorgt eine Vorrichtung dafür, dass das Fahrzeug aus der Bahn geworfen wird, das Heck ausbricht und der Pkw ins Schleudern gerät. Das sollen die Fahrer durch beherztes und möglichst rasches Gegenlenken abfangen. Zu welcher Seite ihr Auto bewegt wird, wissen sie vorher jedoch nicht… Einige geraten dabei mächtig in Rotation, die erst auf umgebendem Asphalt gestoppt werden kann, wenn die Räder wieder besser greifen. Mancher „ID4“ im WWP-Design dreht sich plötzlich wie der „Break Dance“ auf der Hachenburger Kirmes…

Ehe der praktische Teil beginnt, gibt es ein Gruppenfoto.

Ähnlich herausfordernd das Trainieren des gebremsten Ausweichens: Auf der speziellen Bahn tauchen plötzlich zwei Hindernisse auf – zum Glück nur in Form von spontan aus dem Boden schießenden Wasserfontänen, so dass bei einem „Zusammenstoß“ keine Schäden an Mensch oder Material entstehen. Doch im wahren Straßenverkehr könnte das ein anderes Auto sein…

„Zwei Finger breit – mehr müsst ihr hier nicht lenken, um um das Hindernis herumzukommen“, erläutert Klaus. Gleichwohl: „Je später ihr mit dem Lenken beginnt, desto stärker müsst ihr lenken – und habt entsprechend weniger Bremsleistung zur Verfügung.“ Puh, so langsam drehen sich nicht nur die Autos, sondern auch ein bisschen die Köpfe…

Wie sinnvoll es ist, sich mit derlei fahrphysikalischen Gesetzmäßigkeiten einmal ganz praktisch auseinanderzusetzen, zeigt unterdessen immer wieder der Blick auf eine der roten Tempoanzeigen am Fahrbahnrand: „Jetzt sieh dir mal an, wie lang der Bremsweg ist – über 40 Meter bei 39 km/h“, kommentiert Klaus per Funk Armins jüngsten Versuch, zu bremsen und dem Wasserhindernis gleichzeitig auszuweichen.

„Is‘ super, is‘ super!“, lautet Daniels Zwischenfazit am Ende dieser Übung auf die Frage, wie der Kurs gefalle. „Dieses kontrollierte Ausprobieren“, findet Matthias besonders gut, wie Daniel ist auch er in „Gruppe 3“ dabei.

Das „Fahrsicherheitszentrum am Nürburgring“ existiert seit 1994. Zwei Gelände mit insgesamt 130.000 Quadratmetern stehen für Fahrsicherheitstrainings mit Pkw, Motorrad und Lkw/Bus zur Verfügung. Dass gleich 26 Elektroautos auf einmal hier ihre Runden drehen, ist noch eher selten…

Am Ende bedankt sich Klaus bei allen Teilnehmern aller drei Gruppen für die hohe Disziplin und stellt zufrieden fest, dass es weder Wunden noch erhebliche Schäden gebe. „Und zum Abschluss: Moderne Autos, auch mit ESP, stoßen dennoch reifentechnisch an die Grenzen der Physik. Wenn es keine Verbindung mehr nach unten gibt, dann kann das ESP ruhig noch zweimal blinken, um den Fahrer ein bisschen zu beruhigen – aber im Ergebnis kommt nichts mehr. Was der Reifen nicht kann, kann die Elektronik ebenfalls nicht mehr!“ Zustimmendes Nicken rundum, das haben heute alle selbst erfahren. „Und ich bleibe bei meiner Aussage vom Beginn“, schließt Klaus die Nachbesprechung ab: „Auslöser all unserer Probleme im Straßenverkehr ist nicht die nasse Fahrbahn, ist nicht ein schwacher Reifen, sondern Auslöser Nummer eins ist grundsätzlich die gefahrene Geschwindigkeit. Punkt.“

Nach so viel Nachdenklichkeit gibt es für die drei Schnellsten, die bei den lustigen Übungen wie im Vierer-Team-„Skoda“ vorne lagen, noch eine kleine Trophäe. Für alle gibt es Kaffee und Kuchen – und danach einen vergnüglichen Abschluss des Betriebsausflugs in die Eifel auf der ebenfalls neben der berühmten Rennstrecke gelegenenen „ring°kartbahn“.

Uwe Schmalenbach

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Arbeiten nach der Sonne

Befährt man die Landesstraße 300 aus Meudt kommend in Richtung Boden, so gelangt man am Rand der zur Verbandsgemeinde Montabaur gehörenden Ortschaft in einen Kreisverkehr. Ihn überragen die Flaggen von Boden, Deutschland und Europa. Unterhalb erinnern drei Arbeitern nachempfundene Metallskulpturen an die (Ton-)Bergbautradition der Gegend. Keine 150 Meter entfernt hat die Firma „Goerg & Schneider“ ihren Sitz. Sie verwendet den im Solarpark in Wissen produzierten PV-Strom (siehe Seite 2), um damit beispielsweise Mahl- und Bandanlagen zu betreiben.

Der Bodener Kreisverkehr thematisiert den Tonabbau. Rechts dahinter ist das Firmengelände von „Goerg & Schneider“ erkennbar.

„Energie ist für uns schon immer das teuerste Gut gewesen, sowohl Strom als auch Gas“, schildert Florian Goerg, der zusammen mit seinem Vater und seiner Mutter die Geschäfte des Unternehmens führt. Dieses beschäftigt sich mit drei Bereichen: der Gewinnung und dem Verkauf von Roh-Ton, von Schamotten und keramischen Massen. Während aus dem Roh-Ton zum Beispiel Ziegel und Fliesen für ganz Europa oder keramische Produkte wie Waschbecken für unsere Badezimmer hergestellt werden, geben zugesetzte Schamotten der Sanitärkeramik Stabilität. Unter „keramische Massen“ fällt das, was wir als klassischen Ausgangsstoff für das Töpferhandwerk kennen. Sie gehen in rund 25 Länder von Dubai bis Israel. Das von „Goerg & Schneider“ vermarktete „Töpferglück“ ist ein Renner bei Kreativen im In- und Ausland und sogar über einen Werksverkauf direkt in Boden erhältlich.

Das dortige Werk existiert seit den 1950er-Jahren. Seit vier Jahren steht auf dem Gelände ebenfalls ein neues Verwaltungsgebäude und genauso lange ist Boden der Sitz von „Goerg & Schneider“. Im nächsten Jahr begeht man das 100. Firmenjubiläum.

Ursprünglich gegründet wurde „Goerg & Schneider“ von Benedikt Goerg und Alois Schneider in Siershahn. Ihren ersten großen Tagebau erschloss die Firma in Mogendorf. Sie baut Ton auch heute noch selbst ab, doch der Schwerpunkt des Unternehmens, das insgesamt an acht Standorten arbeitet, sei die Weiterverarbeitung, wie Florian Goerg erläutert, der die vierte Generation in der Unternehmensführung darstellt.

Die besagte Weiterverarbeitung braucht Energie, riesige Mengen Energie: Allein ungefähr vier Millionen Kilowattstunden (kWh) Strom sind im Jahr erforderlich. Die enorme Menge von knapp 26 Millionen kWh Gas kommt hinzu!

Gas wie Strom benötigt ein circa 85 Meter langer Tunnelofen, in dem Schamotte bei über 1.200 Grad Celsius gebrannt wird. Er ist Hauptenergieverbraucher in Boden, läuft an 365 Tagen im Jahr. Denn es dauere alleine zehn Tage, diesen Ofen anzustellen. Und schneller sei er auch nicht abzukühlen, höchstens 100 Grad am Tag, ansonsten fiele die Anlage, die zu den modernsten und effizientesten ihrer Art zählt, in sich zusammen, unterstreicht Goerg.

So verwundert es nicht, wenn der Juniorchef sagt: „Wir haben uns schon vor drei, vier Jahren überlegt: Wie können wir nachhaltig Energiesicherheit für unser Haus darstellen?“ Bereits seit mehreren Jahren beziehe man Grünstrom von „MANN Naturenergie“. Auf allen Hallendächern des Unternehmens sei ein maximaler Ausbaustand an eigener Photovoltaik (PV) erreicht.

Einst wollten „Goerg & Schneider“ selbst einen Solarpark bauen und betreiben, in direkter Nachbarschaft zum Firmensitz, nachdem eine Prüfung schon 2008 ergeben hatte, dass das Unternehmen kein eigenes Windrad bauen dürfe. Sage und schreibe dreieinhalb Jahre dauerte es jedoch, bis „Goerg & Schneider“ die Genehmigung für einen geplanten eigenen Solarpark bekommen konnten. „Doch mit dieser langen Zeit kamen wir in die Bredouille: Unser damaliger Stromvertrag lief 2022 ab. Zudem fiel das zeitgleich in die Energiekrise. Mit dreieinhalb Jahren brauchen Sie nichts mehr zu planen… Deshalb mussten wir ausweichen“, beschreibt Florian Goerg. „Und man muss noch einmal betonen: Unser Geschäftszweck ist ja ohnehin die Weiterverarbeitung von keramischen Rohstoffen – nicht Aufbau eines Solarparks! Ich bin Vertriebsleiter für den Verkauf von Ton – und habe mich nun drei Jahre lang mit Energiethemen befasst“, legt Goerg die Stirn in Falten. „Bürokratie behindert die Energiewende!“, stimmt Markus Mann kritisch zu.

All diese Faktoren führten letztlich dazu, dass „Goerg & Schneider“ dem PPA, dem „Power Purchase Agreement“, mit den „Maxwäll“-Genossen (siehe Seite 2) gerne zugestimmt haben. „Wir haben damit einen Weg gefunden, wie wir uns langfristig Energiesicherheit und Nachhaltigkeit einkaufen“, freut sich Florian Goerg.

Angestrebt werde, dass der PV-Strom aus dem Solarpark Wissen bis zu 30 Prozent der jeweiligen elektrischen Last des Unternehmens decken könne. „Die Energiemenge, die uns nicht an PV-Strom zur Verfügung steht, wenn in Wissen zu wenig erzeugt wird, bekommen wir jederzeit von MANN, so dass uns das Konstrukt erlaubt, stets ausschließlich ‚grünen Strom‘ zu nutzen! MANN ist eigentlich unsere virtuelle Batterie“, ergänzt der Juniorchef.

„Goerg & Schneider“ haben jedoch nicht nur das PPA mit „Maxwäll“ und MANN geschlossen, sondern begleitend sogar Schichtpläne verschoben und Produktionsprozesse so ausgerichtet, dass ein höchstmöglicher Anteil an PV-Strom aus Wissen eingesetzt werden kann. „Wir arbeiten im Grunde nach der Sonne“, lacht Florian Goerg: Inzwischen beginne die Arbeit in Boden zu einer späteren Uhrzeit als vormals, so dass man den „Peak“, das Maximum der Sonneneinstrahlung, auf jeden Fall ausnutzen könne, wenn Ton-Mahlwerke und andere Verbraucher voll laufen.

In diesem Verschieben von Lasten, im „Lastmanagement“, sieht Markus Mann die Zukunft industrieller Energienutzung. „In dem Moment, wo Energie zu einem immer teuren Produktionsfaktor wird, wird schon allein der Markt dafür sorgen, dass die Wirtschaft dem Beispiel von ‚Goerg & Schneider‘ folgt und energieintensive Abläufe möglichst dann stattfinden lässt, wenn es besonders viel günstigen Strom aus erneuerbaren Quellen gibt“, ist der Grünstrom-Pionier überzeugt.

Rund 95 Mitarbeiter sind bei „Goerg & Schneider“ fleißig, größter Betriebsteil ist Boden. Hier werden auch 80 Prozent der gesamten Energie des Unternehmens verbraucht.

„Das ist der typische Ton“, stellt Florian Goerg bei einem Betriebsrundgang heraus und deutet auf die „Box 20“. Etwa 60 dieser haushohen Abteile gibt es in Boden, witterungsgeschützt unter Hallendächern. Darin wird Ton in verschiedenen Qualitäten bevorratet, der zuvor nach der Förderung im Werk zerkleinert worden ist. Gefördert wird täglich, je nach Tagebau fünf bis sieben verschiedene Sorten.

Aus etwa 35 verschiedenen eigenen Rohstoffen und einigen Fremdrohstoffen mischen „Goerg & Schneider“ unterschiedliche Tone für die jeweiligen Kundenbedürfnisse, verdeutlicht Florian Goerg. „Ziel der Übung ist es, eine Tonmischung herzustellen, die relativ stabil ist. Wenn wir Ton an Kunden verkaufen, ist es zu 99 Prozent eine Mischung, die aus mehreren Komponenten besteht.“ So könne man natürliche Schwankungen ausgleichen und sicherstellen, dass man selbst größere Mengen von 50.000 oder 60.000 Tonnen immer mit den selben Qualitätsparametern liefern könne.

Florian Goerg zeigt Ton aus „Box 20“.

Apropos: Im Jahr vermarktet die Westerwälder Firma alles in allem 600.000 Tonnen. Versandt wird zum Beispiel auf dem Wasserweg. 120 Rhein-Schiffe legen in Bendorf oder Lahnstein im Jahr mit Produkten des Bodener Unternehmens ab, im Schnitt mit jeweils 2.500 bis 3.000 Tonnen an Bord. Ebenso ist die Bahn ein wichtiges Verkehrsmittel. Es gibt im Werk einen eigenen Gleisanschluss. „Italien wird fast ausschließlich per Waggon bedient“, berichtet Florian Goerg.

Im Kreisverkehr am Ortseingang von Boden sind die drei blechernen „Bergbauarbeiter“ ausschließlich händisch tätig, nutzen Spaten und Hacke, aber keine Maschinen. Hinter Florian Goerg rattert derweil eine mächtige Tonmühle, darin stellt das Unternehmen Tonmehl her. Der geförderte Ton weist noch eine Feuchte von 13 bis 15 Prozent auf. Die Mühle trocknet ihn auf unter zwei Prozent und mahlt ihn. So erhält „Goerg & Schneider“ die Basis für keramische Massen. Die Maschine ist einer der großen Stromverbraucher im Betrieb. Die neue Dreier-Kooperation im Westerwald versorgt ihn mit dem nötigen Naturstrom.

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